Gegenantrag und Fragen zur Hauptversammlung 2022 der Fresenius Medical Care & Co. KGaA
Gegenantrag zu TOP 4: Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2021
Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre erteilt den Mitgliedern des Aufsichtsrats der Fresenius Medical Care & Co. KGaA keine Entlastung für das Geschäftsjahr 2021.
Begründung:
Wir beantragen, den Mitgliedern des Aufsichtsrats der Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA (FMC) die Entlastung zu verweigern, da der Aufsichtsrat die Pflegequalität in den Unternehmensniederlassungen in den USA nicht zufriedenstellend überwacht hat. Eine jüngst eingereichte Beschwerde beim US-Gesundheitsministerium behauptet glaubwürdig, dass Dialyseeinrichtungen von FMC in Kalifornien routinemäßig Dialysen mit unsicheren Ultrafiltrationsraten (UFR) durchführen und dass solche unsicheren Raten überproportional auf lateinamerikanische und asiatisch-amerikanische Patientinnen konzentriert sind. Darüber hinaus hat Fresenius SE, die Muttergesellschaft von FMC, seit mehr als einem Jahrzehnt die Risiken einer Dialysebehandlung bei hohen UFR für Patientinnen verstanden und anscheinend eine Richtlinie zur Vermeidung dieser Praxis eingeführt. Das Versäumnis des Aufsichtsrats, sicherzustellen, dass FMC die Dialyse unter sicheren und diskriminierungsfreien Ultrafiltrationsraten anbietet, riskiert den rechtlichen Status und den Ruf der Gesellschaft.
Hohe UFR stellen ein Risiko für Dialyse-Patient*innen dar.
Die medizinische Forschung stellt zunehmend fest, dass hohe UFR mit erhöhter Sterblichkeit und anderen schwerwiegenden Komplikationen verbunden sind, darunter Krankenhauseinweisungen, kardiale Ereignisse und Bewusstlosigkeit. Insbesondere sind UFR über 10 ml/h/kg (Milliliter/Stunde/Kilogramm) mit einem höheren Sterblichkeitsrisiko verbunden. Dieser Zusammenhang ist noch stärker für UFR über 13 ml/h/kg. (1)
Mehrere in den USA ansässige Normierungsorganisationen haben sich darauf konzentriert, UFR zu reduzieren, um die Behandlungsergebnisse für Patient*innen zu verbessern. Zum Beispiel hat die Kidney Care Quality Alliance, zu deren Mitgliedern auch die FMC gehört, Qualitätsmaßstäbe für die Dialysebehandlung mit einer UFR von weniger als 13 ml/h/kg entwickelt.
Die Beschwerde weist darauf hin, dass Fresenius SE die mit hohen UFR verbundenen Risiken bereits 2011 erkannt hat, als das Unternehmen eine interne Mitteilung (Memo) an Kliniker*innen herausgab, in dem es einräumte, dass UFR über 10 ml/h/kg das Sterblichkeitsrisiko erhöhen. Laut der Beschwerde sagt das Memo: „Ärztliche Direktoren und behandelnde Ärzte werden nachdrücklich ermutigt, diese Empfehlung der klinischen Praxis umzusetzen, . . . mit einer minimalen Dialysebehandlungsdauer von 4 Stunden, wobei eine UFR von ≤10 ml/kg/h angestrebt wird.“ (2)
Hohe UFR in Kalifornien tragen zum Patient*Innen-Risiko bei.
Die Beschwerde dokumentiert, dass in Kalifornien 60% der Dialyseeinrichtungen mit dem höchsten Anteil an Behandlungen mit UFR über 13 ml/h/kg mehr Todesfälle als erwartet hatten, verglichen mit nur 40% der Einrichtungen mit dem niedrigsten Anteil an Behandlungen mit UFR über 13 ml/h/kg. Darüber hinaus hatten die Einrichtungen mit den meisten Behandlungen über 13 ml/h/kg höhere Raten von Wiedereinweisungen ins Krankenhaus, häufigere Besuche in der Notaufnahme, die zu einer erneuten Einweisung führten, und mehr Patient*innen mit mindestens einem Besuch in der Notaufnahme.
Hohe UFR in Kalifornien wirken sich überproportional auf US-Latinos und asiatisch-amerikanische Patient*innen aus.
Die Beschwerde zeigt auch, dass in Kalifornien lateinamerikanische und asiatisch-amerikanische Patient*innen hohen UFR mit einer um 50% höheren Rate ausgesetzt waren als weiße Patient*innen. Ungefähr 20% der Dialysebehandlungen, die asiatisch-amerikanischen Patient*innen in Kalifornien verabreicht wurden, hatten eine UFR von über 13 ml/h/kg, während 14% der Behandlungen, die lateinamerikanischen Patient*innen verabreicht wurden, dieses Niveau überschritten. Im Vergleich dazu erhielten weiße Patient*innen nur in 11% der Fälle eine Behandlung mit hoher UFR.
Fresenius sollte sich proaktiv mit der Patient*innen-Versorgung und Auswirkungsrisiken befassen.
Wir fordern den Vorstand auf, die Umstände hoher UFR ernsthaft zu untersuchen. Darüber hinaus sollte sich das Unternehmen angesichts der Beweise, dass hohe UFR mit erhöhten Gesundheitsrisiken für Patient*innen verbunden sind, dazu verpflichten, solche Behandlungen so bald als möglich abzuschaffen. Der Aufsichtsrat sollte besonders darauf achten, dass keine demografische Minderheit unverhältnismäßig hohen UFR ausgesetzt ist. Bitten unterstützen Sie diesen Gegentrag.
Zu den Anmerkungen im Text:
1) Jennifer Flythe et al., Rapid Fluid Removal During Dialysis is Associated with Cardiovascular Morbidity and Mortality, 79 Kidney Int’l 250 (2011)
2) Dokument auf Anfrage erhältlich
Fragen zur Hauptversammlung der Fresenius Medical Care am 12.05.2022
- In der Stellungnahme der Verwaltung zum Gegenantrag des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre e.V. zu Punkt 4 der Tagesordnung der ordentlichen Hauptversammlung heißt es, dass Ultrafiltrationsraten nicht von Dialyseanbietern wie Fresenius Medical Care vorgeschrieben werden, sondern für jede Patientin und jeden Patienten auf einer individuellen ärztlichen Verordnung beruhen. Wir fragen den Aufsichtsrat: Welche Rolle spielen die von Fresenius eingestellten ärztlichen Direktoren in den einzelnen Kliniken, vor allem in den USA, wenn eine individuelle ärztliche Verordnung im Widerspruch zu sicheren Behandlungspraktiken steht?
- Trotz einer internen Firmenmitteilung von Fresenius aus dem Jahre 2011, in dem das Unternehmen rät, dass die Ultrafiltrationsrate bei zehn Milliliter pro Stunde und Kilogramm Körpergewicht oder niedriger gehalten werden sollte, haben Rechercheur*innen in den USA laut einem kürzlich erschienenen Artikel in der Frankfurter Rundschau geschätzt, dass mehr als acht Millionen Behandlungen mit einer Ultrafiltrationsrate von mehr als 13 Milliliter pro Stunde und Kilogramm Körpergewicht zwischen 2016 und 2019 durchgeführt wurden. Wie lange sind dem Vorstand und Aufsichtsrat Ultrafiltrationsraten von mehr als 13 Milliliter pro Stunde und Kilogramm Körpergewicht bekannt und warum haben Sie und Ihre ärztlichen Direktor*innen nicht darauf reagiert?
- Können Sie definitiv sagen, dass Ultrafiltrationsraten über 13 Milliliter pro Stunde und Kilogramm Körpergewicht bei Fresenius-Kliniken in Ländern außerhalb der USA nicht aufgetreten sind? Wenn nein, haben Sie untersucht, ob dies in anderen Ländern ein Problem ist und wenn ja, in welchen anderen Ländern Patient*innen mit Ultrafiltrationsraten von mehr als 13 dialysiert werden?
- Wie viel Prozent Ihrer US-amerikanischen Dialysekliniken werden als Joint Ventures betrieben, an denen FMC mit verschreibenden Ärzt*innen und/oder ärztlichen Direktor*innen beteiligt ist? Wie geht FMC in diesen Situationen mit ethischen Konflikten zwischen Anteilseigner*innen um?
- Auf der Website unseres Unternehmens heißt es: „Unser Versprechen ist die würdige und respektvolle Behandlung aller Patienten, ein zeitnahes, ethisch begründetes und faires Handeln.“ In einer bei dem US-Gesundheitsministerium eingereichten Beschwerde wird behauptet, dass Patient*innen lateinamerikanischer oder asiatischer Abstammung unverhältnismäßig stark von der Durchführung einer Dialysebehandlung mit gefährlich hohen Ultrafiltrationsraten betroffen sind. Welche Kontrollmaßnahmen gedenkt der Aufsichtsrat einzuleiten, um festzustellen, ob diese Behauptungen zutreffend sind?
- Letztes Jahr hinterfragten wir die mangelnde ethnische Diversität des Aufsichtsrats und erkundigten uns nach den Maßnahmen, die der Aufsichtsrat zu ergreifen gedenkt, um die Diversität seiner Zusammensetzung zu erhöhen. Leider scheint der Aufsichtsrat letztes Jahr versäumt zu haben, Kandidat*innen zur Wahl vorzuschlagen, die seine ethnische Vielfalt erhöhen würden. Wir fragen deshalb erneut: Wie beabsichtigt der Aufsichtsrat, dieses wichtige Ziel in Zukunft zu erreichen?
Dazu in den Medien:
Fresenius Medical Care: Blutwäsche im Schnelldruchlauf, Frankfurter Rundschau, 04.05.2022