Rede von Dr. Helmut Lohrer, International Councilor der Deutschen Sektion der Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), auf der Hauptversammlung der Heckler & Koch AG am 02.07.2024 in Rottweil

Herr Koch, Sie haben uns Friedensaktivisten in Ihrem vor wenigen Tagen erschienenen Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgehalten, Ihnen Antworten schuldig zu bleiben. In der Einleitung meiner Fragen will ich versuchen, darauf einzugehen.
Zunächst mal: ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und Ihren Dialog mit uns FriedensaktivistInnen.
Ich bin jedoch nicht der Überzeugung, dass es – wie Sie jüngst in einem Artikel der ZEIT zitiert wurden – ohne Rüstungsproduktion keine Freiheit und Sicherheit gibt. Das mag bei oberflächlicher und auf die kurz- und vielleicht mittelfristige Perspektive beschränkter Betrachtung so erscheinen.
Sie zitieren in ihrem Interview in der FAZ Platon: „Wenn Du den Frieden willst, übe den Krieg ein.“ Und Sie meinen, das sei heute noch so richtig wie damals.
Platon hatte, das muss man ihm zugutehalten, keinerlei Vorstellung von der Zerstörungskraft moderner Waffen. Wer heute den Krieg einübt, setzt auf eine Wette, die der Menschheit mir einiger Wahrscheinlichkeit zum Verhängnis werden wird.
Ich empfehle daher ein etwas jüngeres Zitat aus dem Matthäus-Evangelium. Da heiß es: „Wer das Schwert aufnimmt, der wird durch das Schwert umkommen.“
Deshalb werden wir für den von vielen bejubelten Perspektivwechsel der „Zeitenwende“ letztlich einen hohen Preis bezahlen.
Meine erste Frage: Wären wir nicht besser beraten, uns nicht immer tiefer in Konflikte zu begeben, sondern den Teil unserer menschlichen Fähigkeiten zu nutzen, der auf friedliche Koexistenz anstatt auf gegenseitige Dominanz und Kampf ausgerichtet ist?
An der Stelle kommt erwartungsgemäß das Argument, der Aggressor sei ja der Andere. Im aktuellen Fall sei es beispielsweise Putin.
Aber selbst wenn das ist: Sollten wir nicht Konflikte in ihrer Entstehung erkennen und Maßnahmen ergreifen, die eine gewaltsame Eskalation der Konflikte verhindert anstatt sie zu fördern?
Genau das ist angesichts des über mehr als 10 Jahre anschwellenden Konflikts zwischen uns, den Staaten der westlichen Welt, also den Kunden von Heckler und Koch, und Russland nicht passiert. Anstatt Dialog und Diplomatie sprechen nun die Waffen.
Wir Friedensaktivisten sind dabei weder naiv und verkennen nicht die Realität. Noch sind wir Parteigänger von Despoten und Diktatoren. Aber wir haben aus der Geschichte gelernt, wohin das führt.
Herr Koch, Sie betonen in Ihrem Interview die Bedeutung des Rechts eines angegriffenen Staates, sich zu verteidigen, und ich stimme zu, dass dies im Rahmen der UN-Charta fest verankert ist. Niemand kann dieses Recht in Frage stellen, und auch ich maße mir das nicht an.
Was ich allerdings in Frage stelle: Ist es auch klug, mich mit Gewalt zu wehren, wenn damit das reale Risiko verbunden ist, dass der Konflikt eskaliert und ich – oder im aktuellen Fall die gesamte Menschheit – in einen Strudel gerate, der uns vernichten wird? Und das ist keine Übertreibung, auch wenn ich jetzt nicht näher darauf eingehen kann.
Natürlich war der Einmarsch Russlands völkerrechtswidrig. Aber machen wir uns nichts vor: Westliches Staaten haben ihren Anteil an der Evolution dieses Konflikts. Nun befindet sich die Menschheit auf einer rutschigen Bahn, an deren Ende der Sturz in den Abgrund droht. Die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ steht dem nicht entgegen, sondern ist Teil dieser unseligen Entwicklung. Sie wird uns nicht herausführen aus der Eskalation, sondern tiefer hinein.
Meine kritische Perspektive, meine Fragen beziehen sich auf die Konsequenzen und die moralische Verantwortung, die mit der Waffenproduktion und -lieferung einhergehen. Der Fokus auf militärische Lösungen führt dazu, dass friedliche Alternativen vernachlässigt werden. Die Geschichte lehrt uns, dass militärische Konfrontationen oft in einer Spirale der Gewalt enden, die schwer zu durchbrechen ist.
Die Idee, ein Land wie Russland mit militärischen Mitteln in die Schranken zu weisen und sich dafür die notwendigen Waffen zu beschaffen bzw. sie zu liefern – das ist in gewisser Hinsicht die Ausgangsidee der Zeitenwende, die Waffenproduzenten wie Heckler und Koch nun enorme Profite verspricht – mag kurz- und mittelfristig ein überzeugender Gedanke sein. Wohin das langfristig führt, sollte uns allen ein paar Gedanken wert sein.
Waren Sie mal in den Vogesen? Ich war dieses Wochenende mal wieder dort. Da begegnen einem auf Schritt und Tritt die grausamen Spuren des 1. Weltkrieges. Die Kämpfenden auf beiden Seiten waren sich ihrer Sache ebenso sicher wie sie es heute in den Schützengräben in der Ukraine sind. In den Vogesen ist aus heutiger Perspektive der Irrsinn offenkundig.
Auch der 2. Weltkrieg hat, teilweise noch tiefere, Narben hinterlassen. Man muss nicht, wie ich es getan habe, nach Hiroshima reisen, um sie zu sehen. Die Narben finden sich in jedem von uns, in unseren Köpfen. Die bis heute nachwirkende Aufteilung der Welt in Ost und West ist nicht zuletzt eine Folge dieses von Deutschland losgetretenen Krieges.
Darüber würde ich allen im Raum, so sehr Sie auch von den wirtschaftlichen Aussichten begeistert sind, die sich aus der Zeitenwende für das Unternehmen Heckler & Koch ergeben, mal empfehlen, nachzudenken.
Daraus ergibt sich meine nächste Frage: Wie sehr verspricht sich Heckler & Koch von der Zeitenwende wirtschaftlich zu profitieren? Auch wenn Investitionen und Entwicklungen schon vor Jahren eingeleitet wurden: Dass die Nachfrage steigt und die Auftragsbücher sich füllen, ist unmittelbare Folge der aktuellen Entwicklung. Wie groß beziffern Sie den Anteil der positiven Unternehmensentwicklung, der aus der aktuellen Konfliktsituation insbesondere in der Ukraine und im Nahen Osten entstammt?
In Ihrem Interview sagen Sie: „Der Mythos Heckler & Koch besteht ja darin, dass unsere Produkte bei Kunden im Einsatz sind und dort unter härtesten Einsatzbedingungen bestehen.“ In wieweit dient der Einsatz von Heckler & Koch-Waffen in laufenden Kriegen dem Unternehmen als Werbeargument für den Verkauf?
Die nächste Frage bezieht sich auf die Ethik und Verantwortung des Unternehmens: Wie rechtfertigt Heckler & Koch die Produktion und den Verkauf von Waffen angesichts der zunehmenden globalen Instabilität und der Gefahr, dass diese Waffen in Konflikten eingesetzt werden, die Zivilisten schaden und zur Eskalation beitragen?
Welche Maßnahmen ergreift Heckler & Koch, um sicherzustellen, dass die Waffen nicht in die Hände von Regimen oder Gruppen gelangen, die Menschenrechte verletzen? Und das meine ich über die „Grüne-Länder-Strategie“ hinaus.
Welche konkreten Maßnahmen plant Heckler & Koch, um sicherzustellen, dass Ihre Waffenproduktion nicht zur weiteren Eskalation von Konflikten beiträgt, sondern vielmehr zu einer nachhaltigen Friedensförderung?
Meine nächste Frage bezieht sich auf Nachhaltigkeit und Zukunft: Wie stellt sich Heckler & Koch eine nachhaltige Geschäftsentwicklung vor, die nicht von der Produktion und dem Verkauf von Waffen abhängt? Gibt es innerhalb des Unternehmens Initiativen, Forschung oder Pläne, die auf die Produktion von Gütern abzielen, die keinen militärischen Zweck haben?
Und wie können wir gemeinsam Wege finden und fördern, um Konflikte durch Diplomatie und Dialog zu lösen, anstatt durch Waffen und Gewalt? Inwiefern sieht Heckler & Koch sich in der Verantwortung, einen Beitrag zur Deeskalation globaler Konflikte zu leisten?