Laudatio für Paul Russmann: Vision einer Welt ohne Rüstung

Panel 1: Dachverband verleiht den Henry Mathews Preis 2020 an Paul Russmann und Ohne Rüstung Leben / 20 Teilnehmer*innen gratulierten online.

Teil 1 der Laudatio von Markus Dufner

Lieber Paul,

ich glaube, Du warst schon in den letzten Jahren ein heißer Kandidat für den Henry-Mathews-Preis. Aber natürlich mussten wir erst ein paar Jahre warten, bis Du nicht mehr Vorstand des Dachverbands warst – sozusagen die Cooling-off-Periode einhalten. Für Deine Verdienste als Rüstungskritiker und Deine lange Vorstandstätigkeit im Dachverband verleihen wir Dir heute den Henry-Mathews-Preis 2020.

Was mich persönlich immer beeindruckte, war Deine Unbeirrbarkeit und Entschlossenheit.  Bei aller Gegnerschaft zu den Konzernen empfand ich Dein Engagement jedoch nie als verbissen. Für Dich standen Fakten und nicht Polemik im Mittelpunkt.

Schade, dass Du den Preis heute nicht persönlich entgegennehmen kannst, aber die Urkunde und die Edition pass_over der Künstlerin Verena Landau wird Charlotte sicher nach Stuttgart bringen.

Heute kommst Du in den Genuss –  hoffe ich doch – einer zweiteiligen Laudatio. Gleich wird noch Deine frühere Vorstandskollegin Barbara Deine Verdienste für den Dachverband würdigen.

Das erste Mal sah ich Dich 2006 auf einer Pressekonferenz in Köln. 20 Jahre Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, das war der Anlass. Zusammen mit Henry Mathews, dem damaligen Geschäftsführer des Dachverbands und Axel Köhler-Schnura, einem der Gründungsmitglieder, hast Du den Journalistinnen und Journalisten Auskunft gegeben, was die Konzernkritiker*innen in zwei Jahrzehnten geleistet hatten.

Paul arbeitete hauptberuflich für Ohne Rüstung Leben (ORL). Er vertrat ORL und die Initiative Kritische Aktionär*innen Daimler im Vorstand des Dachverbands insgesamt 18 Jahre lang: zuerst von 1995 bis 2000 und dann noch einmal von 2004 bis 2017. Ich würde sagen, dass Paul den Dachverband wie wenige andere geprägt hat.

Aber der Reihe nach: Wie kommt ein Bankkaufmann und Diplom-Theologe vom Niederrhein in die schwäbische Metropole Stuttgart? Darauf antwortete Paul einmal in einem Interview:

„Der Wunsch, mein Friedensengagement zum Beruf zu machen, brachte mich schließlich aus der Fahrradstadt Münster in die Autostadt Stuttgart.“ (ORL kompakt-Interview, 2016)

1987 hatte die ökumenische Aktion Ohne Rüstung Leben – kurz ORL – die Stelle eines Friedensarbeiters ausgeschrieben. Paul hatte sich darauf beworben, wurde genommen und blieb 30 Jahre.

ORL entstand bereits 1978 aus der Selbstverpflichtung von Christinnen und Christen, ohne den Schutz militärischer Rüstung zu leben. Für Paul bedeutete „die Vision einer Welt ohne Rüstung“ … „die ethische, intelligente und kreative Friedensalternative zur herrschenden lebenszerstörenden Militärlogik.“


Ende der 1980er Jahre wurde aus dem Auto- und Lastwagenhersteller Daimler-Benz ein Rüstungsgigant. Das ist heute kaum mehr im öffentlichen Bewusstsein. Das Unternehmen mit dem Stern hatte da schon die Raumfahrtfirma Dornier und die MTU Motoren- und Turbinen-Union geschluckt. Jetzt kam noch die Münchner High-Tech und Rüstungsschmiede Messerschmitt Bölkow Blohm (MBB) dazu. Den Deal fädelten damals Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter, Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann gegen erheblichen Widerstand ein. Daimler-Benz produzierte ab da Flugzeuge, Panzer, Schiffe und Unimogs und wurde zum Hauptlieferanten der Bundeswehr.

Seit 1990 gibt es die Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD). Die Initiative wird von ORL getragen und setzt sich für den Ausstieg des Automobilkonzerns aus der Rüstungsproduktion aber auch für umweltfreundlichere Autos ein. Neben Paul gehörten zu den Kritischen Aktionären Daimler auch der Freiburger Rüstungsexperte Jürgen Grässlin, der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer, die auf Arbeitnehmerfragen spezialisierte Beate Winkler-Pedernera und der Ingenieur Alexander Dauensteiner („Der Weg zum Drei-Liter-Auto“). 1991 traten die Konzernkritiker zum ersten Mal bei einer Daimler-Hauptversammlung in Erscheinung. Die Fünf waren ein schlagkräftiges Team, das sich Jahr für Jahr akribisch auf die Hauptversammlungen der Daimler-Benz AG vorbereitete, Pressekonferenzen veranstaltete und die Aktionäre in ihren Hauptversammlungsreden über die Missstände bei Daimler aufklärte – sei es die Fusion mit dem US-Autobauer Chrysler (sog. „Hochzeit im Himmel“), die spritfressende S-Klasse oder die Rüstungsproduktion.

Bereits 1995 urteilte das Magazin „Der Spiegel“: „Die kontrollierte Konfrontation hat die Kritischen AktionärInnen bei Daimler-Benz hoffähig gemacht für Werksbesichtigungen und Spitzengespräche, von denen andere Kleinstaktionäre nur träumen.“

Tatsächlich sollten die Kritischen AktionärInnen Daimler in vielem Recht behalten:
Der fusionierte Konzern DaimlerChrysler spaltete sich nach verlustreichen Jahren wieder auf. Der sich dann nur noch Daimler AG nennende Konzern trennte sich nach und nach vom Großteil seiner Rüstungsgeschäfts. Leider setzten sich bei Daimler nicht Drei-Liter-Autos sondern SUVs und andere großvolumige Spritfresser durch. 

2016, ein Jahr vor seinem Abschied bei ORL, zog Paul ein Resümee:
„Wir haben als Kritische Aktionäre den Ausstieg der Daimler AG aus den Rüstungsschmieden EADS und Rolls-Royce-Power-Systems gefordert und es ist gut, dass der Konzern dem nun nachgekommen ist. Wir werden aber nicht ruhen, bis Daimler auch das Geschäft mit der Produktion und dem Export von Militärfahrzeugen beendet. Die Menschenrechte dürfen nicht länger unter die Räder von Mercedes-Militärfahrzeugen geraten.

Lieber Paul,
Du hast die Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre gern als „Stachel im Fleisch der Konzerne“ bezeichnet. Ich habe dieses Bild immer ein wenig als Understatement empfunden. Ein Stachel piekst eins bisschen, aber ich finde, Du und Ohne Rüstung Leben, Ihr dürft mehr für Euch in Anspruch nehmen. Ihr habt in den vergangenen 30 Jahren maßgeblich zur Kritik von Auto- und Rüstungskonzernen beigetragen – nicht nur bei Daimler, sondern auch bei Rheinmetall, Thyssenkrupp und Heckler & Koch.

Und jetzt übergebe ich für
Teil 2 der Laudatio an Barbara Happe

Paul, wir kennen uns seit ca. 10 Jahren, seit unserer gemeinsamen Arbeit zu Hermes-Bürgschaften. „Keine Hermes-Bürgschaften für Rüstungsexporte“ – das war eine gemeinsame Kampagne von uns.

Wir wollten ein generelles Verbot von Hermes-Bürgschaften für Rüstungsexporte durchsetzen.

Wir wollten, dass die Bundesregierung Waffenhandel nicht auch noch staatlich absichert und somit noch leichter macht. Wir wollten keine staatliche Absicherung für die Lieferung von Mercedes-Militär-Unimogs und Fregatten  an das türkische Militär.  

Leider haben wir diese Kampagne unter der damals regierenden schwarz-gelben Bundesregierung nicht gewonnen: in den letzten 6 Jahren wurden weitere 20 Hermes-Bürgschaften im Wert von gut 6 Mrd. Euro für Rüstungsexporte vergeben, vornehmlich für U-Boote, Fregatten oder Kampfflieger an Krisenländer wie Ägypten, Algerien oder Indonesien.

Aber du ließest dich noch nie durch solche Rückschläge entmutigen und hast immer eher das Positive gesehen, hier z.B. das, was erreicht worden ist an Sensibilisierung oder Mobilisierung.

Und Du HAST IMMER WEITER GEMACHT! Du warst und bist immer offen gewesen für Neues: immer wieder nach neuen Wegen, Maßnahmen, Kampagnen zu suchen, um die Rüstungsindustrie in ihre Schranken zu weisen.

Und Du und Ohne Rüstung Leben waren dabei ja auch durchaus erfolgreich, wie Markus eben geschildert hat: am meisten beeindruckt hat mich ja, wie Ihr es geschafft habt, dass die Daimler AG den Großteil ihres Rüstungsgeschäftes inzwischen abgestoßen hat.

Oder wie ORL es auch immer wieder geschafft hat, bestimmte besonders heikle Rüstungsgeschäfte frühzeitig ans Tageslicht zu holen und teilweise dann auch noch zu verhindern wie z.B. Panzerlieferungen an die Türkei und Saudi-Arabien oder Sturmgewehrlieferungen von H&K nach Nepal.

Hauptversammlungen waren dabei für Dich immer ein Teil der Kampagnen gegen die Rüstungskonzerne und ein Werkzeug, das Du wirkungsvoll einzusetzen wusstest. Immer seriös mit Hemd und Jackett gekleidet, stelltest Du Dich ans Rednerpult, um dann in Deiner Dir ruhigen Art die Konzernchefs mit Deiner schonungslosen Kritik zu konfrontieren.  Bei den Medien und den Zuhörern kam das an, wie ich ja auch miterleben durfte!

Es waren diese Erfahrungen aus unserer gemeinsamen Arbeit und auch Deine trockene rheinländische Art, die mir die Entscheidung, in den Vorstand der Kritischen Aktionärinnen und Aktionären zu gehen, besonders leicht gemacht haben.

Und in der Tat hielten die Vorstandssitzungen, auch und gerade rein menschlich, was ich mir davon versprochen hatte. Gerade die Kombination zwischen unserem ehemaligen Vorstandskollegen Bernd Moritz und Dir machte die Treffen so manches Mal höchst unterhaltsam und inspirierend.

Ich fühlte mich bei Euren Debatten und Zwiegesprächen so manches Mal an die beiden alten Herren aus der Muppets-Show erinnert. Als Vorstände blicktet Ihr genüsslich von außen auf den Dachverband und strittet über den richtigen Weg und die nächsten Schritte: Du immer politisch-strategisch und durchaus auch mal bereit, in größeren Dimensionen zu denken – aber dann kam Bernd und holte Dich und uns so manches Mal zurück auf den Boden der Tatsachen, wenn unsere Kampagnenträume dann doch zu ausschweifend wurden.

Es waren schöne Zeiten, die wir zusammen bei den Kritischen Aktionär*innen hatten. Wir haben aber auch gemeinsam einige grausame Tiefen durchleben müssen mit dem plötzlichen Unfalltod von Bernd 2015 und dem von Dorothea nach schwerer Krankheit ein Jahr später. Das hat uns alle viel Energie gekostet. Teilweise stand sogar der Fortbestand der Kritischen Aktionäre auf Messers Schneide.  Aber auch das haben wir gemeinsam mit allen anderen Vorständen und Kolleg*innen in einem enormen Kraftakt gemeistert. Darauf kannst Du auch stolz sein, lieber Paul!

2017 haben wir Dich dann sehr ungern ziehen lassen, auch wenn wir verstanden haben, dass Du bei uns allmählich kürzertreten wolltest.

Und auch wenn Du Dich von uns und von Ohne Rüstung Leben aus in den Unruhestand verabschiedet hast, so ist es toll zu sehen, dass Du Dich weiter politisch engagierst und für eine friedliche Welt eintrittst.

So hast Du mit Ohne Rüstung Leben 2018 den Widerstand gegen die Realisierung der ITEC-Waffenmesse in Stuttgart entscheidend geleitet und organisiert. Mit dem Erfolg, dass es wohl keine weitere Waffenmesse mehr in Stuttgart geben wird. Chapeau!

Lieber Paul, du hast diesen Preis mehr als verdient – weil kaum jemand anderes den Dachverband besser kennt und aus nächster Nähe länger begleitet hat als du!

Schade, dass wir jetzt nicht mit dir auf all deine Leistungen für und mit uns Anstoßen können! Aber das holen wir nach.

Herzlichen Glückwunsch vom gesamten Vorstand!

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