„Inwiefern spiegelt sich in Ihren Maßnahmen wider, dass Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen Frauen und andere vulnerable Gruppen, wie Migrant*innen, stärker und schlimmer trifft, als Männer?“: Rede und Fragen von Emma Wentzel, FEMNET

Sehr geehrter Vorstand, sehr geehrter Aufsichtsrat, sehr geehrte Aktionär*innen,

mein Name ist Emma Wentzel und ich spreche für den feministischen Arbeitsrechteverein FEMNET als Teil des Dachverbands der Kritischen Aktionär*innen.

1. Wir gehen davon aus, dass Ihr Versprechen von heute Morgen, Herr Daniel Grieder, das Wohlergehen aller Mitarbeitenden von Hugo Boss hochzuhalten, die Textilarbeiter*innen an den Nähmaschinen und auf den Produktionsflächen Ihrer Lieferanten miteinschließt. Dementsprechend möchte ich im Folgenden einige Fragen an Hugo Boss richten. Daher betrifft meine erste Frage die gesetzlichen Verankerungen solch eines Schutzes:

Das Lieferkettengesetz, bzw. auf europäischer Ebene die Lieferkettenrichtlinie, sogenannte CSDDD: Es gibt verschiedene Bemühungen und gute Argumente, auch von wirtschaftlicher Seite, das LkSG beizubehalten und die Abschwächung des CSDDDs durch die geplante Omnibus-Initiative zu verhindern.

a. Sind nicht schon viele (finanzielle) Ressourcen in die Vorbereitung des CSDDDs/Umsetzung des LkSGs investiert worden? Warum äußert sich Hugo Boss diesbezüglich nicht förderlich zum CSDDD und unterzeichnet beispielsweise nicht den internationalen Appell zum Schutz der Lieferkettenrichtlinie? Was ist Hugo Boss Haltung zu den aktuellen Entwicklungen?

2. Menschenrechtliche Risikoerfassung entlang der Lieferkette

Die Risikoeinschätzung Ihrer (Tier-1 und Tier-2) Lieferanten läuft über eine Kombination von Faktoren: dem Länderrisiko, dem Industrierisiko, der Anzahl an Mitarbeitenden undder Selbstauskunft durch die Lieferanten. Unter diesen Faktoren ist die Selbstauskunftder Lieferanten das konkreteste Bild, was sie von einer bestimmten Fabrik erhalten können, bevor ein Audit stattfindet.

a. Körperliche und psychische Gewalt wird, wenn es stattfindet, oft von der Managementebene selbst ausgeübt. Wie können Sie davon ausgehen, dass die Fabrikleiter wissen, wie es ist in ihren Fabriken zu arbeiten? Wie wird überprüft, dass die Ergebnisse der Selbstauskünfte verlässlich sind?

b. Laut Geschäftsbericht haben die 56 durchgeführten Audits in 2024, 52 Korrekturmaßnahmenpläne, sog. „Corrective Action Plans“, mit sich gezogen. Bedeutet das, dass 4 Lieferanten so „gut“ waren, dass kein CAP nötig war? Laut unserer Kenntnis über die allgemeine Menschenrechtslage in Textilfabriken ist das eigentlich unmöglich.

c. Sind Arbeiter*innen (oder deren Vertreter*innen) aktiv bei der Entwicklung der Korrekturmaßnahmenpläne beteiligt?

d. Wie hat die Umsetzung der Korrekturmaßnahmenpläne bisher funktioniert und wie wird das ausgewertet?

e. Welche Rolle nimmt Hugo Boss dabei ein – wie sieht die Unterstützung der Umsetzung der Korrekturmaßnahmenpläne durch HB aus?

3. Audits

a. Aus welchen Gründen, hält man nach wie vor an Sozialaudits fest, deren Unzulänglichkeit und Gefahr schon längst bekannt ist? Erinnern wir uns nur an Rana Plaza, der dramatische Fabrikeinsturz mit über tausend Toten und zweieinhalb Tausend Verletzten, obwohl die Fabrik kurz davor in Bezug auf Gebäudesicherheit auditiert wurde. Es gibt auch etliche Beispiele aus jüngerer Geschichte.

b. Sind die Ergebnisdaten der Audits nach Geschlecht aggregiert?

4. Einbezug des lokalen Kontexts

Im CSDDD gibt es einen Punkt zur Verpflichtung zu sog. „meaningful stakeholder engagement“.

a. Was bedeutet für Sie „meaningful stakeholder engagement“? Wie setzen Sie das um?

b. Wie unterstützen Sie Vereinigungsfreiheit in Ihren Produktionsländern?

c. Sind Sie in direktem Kontakt mit Arbeiter*innen in Ihren Fabriken?

Für ein effektives Risikoüberwachungssystem benötigt es Kenntnis des lokalen Kontexts. Wissenschaftlich hat sich gezeigt, dass der Einbezug von Arbeiter*innen selbst die effektivste Ressourcennutzung zur Erfüllung unternehmerischer Sorgfaltspflichten darstellt. Die einzige Bedingung dafür, dass das langfristig funktioniert, ist ehrliches Commitment, also die Verpflichtung der Brands zu solch einem Vorgehen.

d. Welche Rolle spielt der lokale Kontext in der Entwicklung bzw. Wahl von Risiko Überwachungs- und Abhilfemaßnahmen? Wie wird der lokale Kontext miteinbezogen? Ist Hugo Boss an einer stärkeren Einbeziehung des lokalen Kontexts für ein effektiveres Resourceneinsatz zur Erfüllung von Sorgfaltspflichten interessiert?

5. Gender-responsiveness

a. Was unternimmt Hugo Boss um seine „corporate social responsibility“ Maßnahmen vor Ort, also die Risikoerfassung, dessen Analayse, und die darauf aufbauende Maßnahmenentwicklung geschlechts-sensibel zugestalten? Inwiefern spiegelt sich in Ihren Maßnahmen wider, dass Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen Frauen und andere vulnerable Gruppen, wie Migrant*innen, stärker und schlimmer trifft, als Männer?

b. Werden Lieferanten dazu aufgefordert, Frauen in leadership Rollen einzusetzen?

c. Welche Beschwerdekanäle werden von Frauen am meisten genutzt?

d. Wie werden Frauen vor Vergeltungspraktiken nach dem Einreichen einer Beschwerde geschützt?

e. Wie werden männliche Arbeiter und Führungskräfte zu geschlechtsspezifischer Gewalt aufgeklärt?

(Geschlechtsspezifische) Gewalt tritt oft aufgrund von Druck auf, dem das mittlere und höhere Management durch die kompetitive Industrie ausgesetzt sind, meist im Kontext von unerreichbaren Produktionszielen. Sie haben viele jahrzehntelange gefestigte Geschäftsbeziehungen:

f. Wie stellen Sie sicher, dass die Produktionsziele, also damit meine ich bspw. wie viele Hemden in einer Stunde produziert werden sollen, unter menschenwürdigen Bedingungen umgesetzt werden können? Kennen Sie die durchschnittlichen Produktionszeiten für Produkte in Ihrer Lieferkette und können Sie mir dafür ein Beispiel nennen?

g. Im letzten Jahr wurde eine Pilotbefragung mit gender-sensiblen Fragen angekündigt. Welche Ergebnisse hat die ergeben und was sind die davon abgeleiteten Folgen?

6. Beschwerdekanäle

a. Welche Beschwerdekanäle werden am meisten genutzt?

b. Über welche der Beschwerdekanäle gingen jeweils wie viele und was für Beschwerden ein?

Ich bedanke mich bei Simone Iltgen für unsere Vorgespräche und Ihre Bereitschaft, uns bei Detailfragen unkompliziert weiterzuhelfen.

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