„Nachhaltigkeit endet nicht beim CO₂-Ausstoß“: Rede von Lara Krahlisch

Sehr geehrte Damen und Herren auf dem Podium,
liebe Aktionärinnen und Aktionäre,

mein Name ist Lara Krahlisch, ich spreche heute im Namen des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Wir vertreten mit den uns übertragenen Stimmrechten Aktionärinnen und Aktionäre, denen verantwortungsvolles Wirtschaften wichtig ist.

Zunächst möchte ich hervorheben, dass wir die Transformation der Salzgitter AG hin zu einer klimafreundlicheren Stahlproduktion ausdrücklich begrüßen. Insbesondere Ihr SALCOS®-Programm ist ein starkes Signal für die Zukunftsfähigkeit der Industrie in Deutschland. Dass Sie die Dekarbonisierung ernst nehmen und sich ambitionierte Klimaziele gesetzt haben, verdient Anerkennung.

Gleichzeitig nehmen wir unsere Rolle als kritische Aktionär*innen wahr: Unsere Aufgabe ist es, genau hinzusehen, nachzufragen – und dort, wo wir Lücken sehen, konstruktiv Kritik zu äußern. Nur so gelingt es, die Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsversprechen auch tatsächlich abzusichern.

Die angekündigte Reduktion der CO₂-Emissionen um bis zu 95 % bis 2033 ist ein beeindruckendes Ziel – und zweifellos mit enormen Herausforderungen verbunden. Laut Ihrem Geschäftsbericht lagen Ihre Scope-1- und -2-Emissionen zuletzt noch bei rund 32,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent – das zeigt die Dimension der Transformation.

Daher unsere Fragen:

Wie genau sieht der Fahrplan bis 2033 aus – mit welchen konkreten Zwischenschritten, Zeitplänen und Investitionen rechnen Sie?

Wie gewährleisten Sie, dass die wasserstoffbasierte Stahlherstellung – mit ihrem hohen Wasser- und Energiebedarf – keine neuen ökologischen Belastungen schafft, etwa durch Wassermangel oder Flächenkonflikte?

Wie viel sogenannten „grünen“ Wasserstoff benötigen Sie für den vollständigen Umstieg – und woher soll dieser in Zukunft konkret kommen?

Solange Hochöfen noch betrieben werden, bleibt Koks – also veredelte Steinkohle – ein zentrales Element der Stahlproduktion. Doch mit Koks sind nicht nur hohe CO₂-Emissionen verbunden, sondern auch menschenrechtliche und ökologische Risiken in den Abbaugebieten.

Wir beobachten mit Sorge, dass gerade in Herkunftsländern wie Russland, Kolumbien oder Südafrika regelmäßig über schwere Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung im Kohlebergbau berichtet wird.

Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie um Klarheit:

Wie viele Tonnen Steinkohle bzw. Koks haben Sie im Berichtsjahr 2024 importiert?

Aus welchen Herkunftsländern stammte diese Kohle – und in welchen Mengen jeweils?

Welche Zulieferunternehmen sind daran beteiligt, und nach welchen sozialen und ökologischen Kriterien wählen Sie diese aus?

Führen Sie regelmäßig Risikoanalysen nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auch für Ihre Kohle- und Koksimporte durch – und wenn ja: Welche menschenrechtlichen Risiken wurden identifiziert?

Gibt es Pläne, sich schrittweise aus besonders problematischen Herkunftsländern zurückzuziehen oder auf alternative Beschaffungswege umzusteigen?

Wir möchten betonen: Wer als Unternehmen glaubwürdig „grünen Stahl“ verspricht, muss auch im Einkauf von Rohstoffen konsequent auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte achten.

In Ihrem ESG-Bericht führen Sie verschiedene Maßnahmen zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten an, darunter Schulungen und ein Hinweisgebersystem. Das ist wichtig – reicht aus unserer Sicht aber nicht aus.

Deshalb fragen wir:

Wann werden Sie erstmals detaillierte Risikoberichte zu Ihrer Lieferkette veröffentlichen – inklusive konkreter Informationen zu Ländern, Branchen und identifizierten Risiken?

Wie überprüfen Sie konkret die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards durch Ihre Zulieferer – etwa durch Audits, Vor-Ort-Kontrollen oder unabhängige Monitoring-Partner?

Wie hoch ist der Anteil Ihrer Lieferanten, die bereits ein eigenes menschenrechtliches Risikomanagement eingeführt haben?

Sie betonen zu Recht, dass Kreislaufwirtschaft ein Schlüssel für nachhaltige Industrie ist. Doch aktuell beträgt der Anteil an recycelten Rohstoffen laut ESG-Bericht nur rund 17 %. Hier sehen wir noch viel Potenzial.

Welche Zielquote für den Recyclinganteil streben Sie mittelfristig an – z. B. bis 2030?

Gibt es Pilotprojekte zur Rücknahme oder Wiederverwendung von Altstahlprodukten?

Nachhaltigkeit endet nicht beim CO₂-Ausstoß – sie beginnt auch im Unternehmen selbst. Wir sehen, dass der Frauenanteil im Konzern aktuell nur 13,9 % beträgt. In Führungspositionen dürfte er noch niedriger liegen.

Welche konkreten Diversity-Ziele haben Sie sich gesetzt – etwa für die Jahre 2025 und 2030?

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um Gleichstellung und Teilhabe strukturell zu fördern – etwa durch Mentoring-Programme, flexible Arbeitszeitmodelle oder Zielquoten?

Transparenz in der Unternehmensführung ist ein entscheidender Bestandteil verantwortungsvoller ESG-Politik. Ihr Hinweisgebersystem ist ein richtiger Schritt – aber es braucht auch öffentliche Wirksamkeit.

Wie viele Hinweise wurden im letzten Jahr gemeldet – und wie viele führten zu Untersuchungen oder Konsequenzen?

Wie gewährleisten Sie den Schutz von Hinweisgeber*innen – auch innerhalb Ihrer Tochtergesellschaften und internationalen Beteiligungen?

Zum Abschluss möchten wir auch auf die Aktionärsstruktur der Salzgitter AG eingehen – insbesondere auf die strategische Beteiligung an der Aurubis AG, an der Sie laut aktuellem Geschäftsbericht 29,9 % der Anteile halten.

Vor dem Hintergrund gemeinsamer Interessen im Bereich Recycling, Kupferverarbeitung und Kreislaufwirtschaft möchten wir nachfragen:

Ist geplant, diese Beteiligung in den kommenden Jahren weiter auszubauen – also über die Schwelle von 30 % hinaus?

Falls ja: Gibt es dazu bereits konkrete Gespräche mit Aurubis oder der Finanzaufsicht – etwa in Bezug auf ein Pflichtangebot?

Wie bewerten Sie die strategische Rolle von Aurubis für Ihre langfristige ESG- und Kreislaufstrategie?

Aus Sicht verantwortungsbewusster Aktionär*innen wäre es wichtig, hier frühzeitig Transparenz zu schaffen – sowohl für die Kapitalmärkte als auch für die Öffentlichkeit.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Salzgitter AG hat mit SALCOS® einen mutigen Schritt in Richtung klimafreundlicher Industrieproduktion gemacht. Doch die Klimakrise duldet keine Halbherzigkeit – und auch die Einhaltung menschenrechtlicher Pflichten verlangt nach mehr als Absichtserklärungen.

Wir appellieren an Sie: Gehen Sie bei Transparenz, Klimaschutz und sozialer Verantwortung konsequent weiter. Werden Sie Vorbild – nicht nur im technologischen, sondern auch im ethischen Wandel.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit – und freue mich auf Ihre Antworten.

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