Rede von Tjan Zaotschnaja

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Tjan Zaotschnaja, ich vertrete heute den Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und die Gesellschaft für bedrohte Völker. Ich bin Itelmenin. Die Itelmenen sind ein indigenes Volk, das im äußersten Osten Sibiriens auf der Halbinsel Kamtschatka lebt. Ich vertrete die indigenen Völker Rußlands in der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Bereits im Jahr 2017 hat Christian Russau (GegenStrömung und Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre) über Ihre 50%-Tochter Europipe und Nord-Stream 2 gesprochen.

Und in der Pressemeldung der Salzgitter AG vom 28.2.18: Eckdaten des Geschäftsjahres 2017, auch in der vorliegenden Einberufung der Hauptjahresversammlung am 24. Mai 2018 auf der Seite 16. im Kapitel Ausblick steht:

„… Für die Gesellschaften des Geschäftsbereiches Mannesmann gehen wir auch 2018 von einem heterogenen Geschäftsverlauf aus: Die deutsche Großrohrgesellschaft der EUROPIPE-Gruppe bleibt mit den Projekten Nord Stream 2 und EUGAL sehr gut ausgelastet.“

Das  Projekt Nord Stream 2 ist mein Thema heute.

Die Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker erhält seit Jahren Informationen über Menschenrechtsverletzungen an Indigenen Völkern Russlands. So berichten uns auch indigene Nenzen von der Halbinsel Jamal, auf der das Erdgas gefördert wird, über die katastrophalen Folgen der Rohstoffförderung. Da Herr Russau letztes Jahr darüber ausführlich gesprochen hat, möchte ich hier heute nur einige Punkte kurz erwähnen:

Die Gasförderung bedroht massiv die Existenzgrundlage der Nenzen, die traditionell Rentierzüchter sind. Durch die Pipelines, Eisenbahnstrecken sind Weiderouten bereits zerschnitten, große Weideflächen zerstört. Viele Nenzen haben gezwungenermaßen ihre nomadische Lebensweise aufgeben müssen. Und die wenigen noch verbliebenen Rentierzüchter schrieben im Mai 2018, dass sie mit ihren Rentieren nicht mehr umherziehen können und viele Tiere im letzten Winter gestorben sind.

> Und ich stelle die Frage: was wird sein, wenn doppelt so viel Gas mit der Nord Stream 2 Pipeline nach Deutschland geliefert wird?

Wie bereits im letzten Jahr erwähnt wurde, werden die Aktivistinnen und Aktivisten in Russland, wenn sie ökologische, menschenrechtliche, soziale Mißstände kritisieren, als „ausländische Agenten“ diffamiert und müssen sogar mit Repressionen rechnen.

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Doch nicht nur in Sibirien leiden indigene Völker unter der Förderung und dem Transport von Erdgas. In den letzten Monaten erhielt die Gesellschaft für bedrohte Völker auch Hilferufe von indigenen Völkern, die an der Ostsee in der Umgebung der Stadt Sankt Petersburg, genauer:  in der Leningrader Region, leben. Die Vertreter einer Umweltorganisation und einer Organisation der Indigenen Völker Russlands berichteten uns über schwerwiegende Folgen von „Nord Stream 2“ für Mensch und Natur auf der Südküste des Finnischen Meerbusens.

Die Route der Nord Stream 2 verläuft im Unterschied zu Nord Stream 1 im Süden der Leningrader Region und durchquert das Biosphärenreservat Kurgalskij, das unter dem Schutz von internationalen Naturschutzkonventionen steht.

Das Naturschutzgebiet und die Umgebung ist Heimat für 210 Arten von Vögeln, 40 Arten von Säugetieren, 800 verschiedenen Gefäßpflanzen.

Hier leben auch die kleinen indigenen Völker der Ingermanlanden, Woten und Izhoren. Sie machen sich große Sorgen um ihre traditionelle Lebensweise wie Landwirtschaft, Fischfang, Forstwirtschaft, Sammeln von Beeren, Kräuter u.s.w. um das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt.

Das Projekt Nord Stream 2 bringt mehr Schaden und Zerstörung in die Gegend, weil das Gebiet der Soikinsky-Halbinsel von den Behörden als industrieller Knoten angesehen wird. Dort werden Chemikalien wie Karbamid, Ammoniak und andere hochschädliche Stoffe im Zusammenhang mit der Pipeline produziert.

Die Baugebiete beeinflussen außerdem Trinkwasserquellen, die auf der Soikinsky-Halbinsel bereits jetzt Mangelware sind. Die weitere Erhöhung des anthropogenen Drucks, nicht-nachhaltiger Nutzung der Ressourcen und Umweltverschmutzung werden das Leben in diesen Gebieten unmöglich machen.

Die Gemeinden der indigenen Volker wandten sich mehrmals an die Behörden der Leningrader Region und der Russischen Föderation. Auch beim UNO Permanenten Forum für die Belange der Indigenen Völker suchten sie Hilfe.

Denn der Bau der Gasleitung Nord Stream 2 verstößt gegen die Gesetze der Russischen Föderation zum Schutz der Tierwelt und der Rechte kleinerer indigener Völker sowie gegen die Prinzipien der UNO-Deklaration über die Rechte indigener Völker.

Das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung der Indigenen, verankert in der UNO-Erklärung der Rechte indigener Völker, wurde in diesem Fall missachtet.

Bis heute gab es keine Beratungen, Diskussionen mit den Gemeinden der Indigenen.

Und nicht nur indigene Gemeinden und Umweltorganisationen, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung im Süden der Leningrader Region haben bei den öffentlichen Anhörungen ihr NEIN zur Route von Nord Stream 2 durch das Biosphärenreservat Kurgalskij klar formuliert.

Im Mai 2018 wurden dem Russischen Präsidenten 80 tausend Unterschriften mit der Forderung übergeben, von dem Gasleitungsbau abzusehen. Auch über 100.000 Bürgerinnen und Bürger in Österreich, Dänemark, Schweden und Deutschland haben NEIN zum Projekt Pipeline Nord Stream 2 gesagt.

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Meine Fragen: Was hat Ihr Unternehmen unternommen, nachdem im letzten Jahr ausführlich über die Menschenrechts- und Umweltsituation entlang der Strecke der Nord Stream 2 informiert wurde, und zwar beginnend von der Halbinsel Jamal, wo die letzten Nomaden Europas vor dem AUS stehen?

Und was wird Ihre Firma unternehmen, damit die kleinsten indigenen Völker der Ischoren, Ingermanlander und Woten in der Leningrader Region um ihr Leben nicht bangen müssen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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Nachtrag vom 25. Mai 2018:

Ich war die 4. und die letzte Rednerin bei der HJV.

Auf meine Fragen  zu „Rentieren und Nomaden“ (seine Worte) antwortete Herr Fuhrmann ungefähr so:

Zuerst spottete er über Herrn Russau.

Dann: Die Salzgitter AG liefere Röhre für ein Offshore-Unternehmen, dort gäbe es keine Rentiere.

Deshalb sei die Salzgitter AG nicht der richtige Adressat.

 

Kommentar des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre vom 27. Mai 2018:

Herr Fuhrmann von der Salzgitter AG ist also demnach der Ansicht, dass eine menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichtprüfung bei der Zulieferung von Großprojekten sich allenfalls auf das belieferte Teilstück (in diesem Fall „offshore“) und nicht auf das Projekt als Ganzes beziehen müsse.

Die US-amerikanische Waffenlobby NRA argumentiert im Falle ihres Produktes ganz ähnlich.

Im vergangenen Jahr hatte Herr Fuhrmann als Antwort auf unsere Kritik an der Europipe-Zulieferung zur Nord Stream 2-Pipeline gesagt: „Großteil der Rohre wird unterirdisch verlegt, dies wird dann die nomadischen Rentierzüchter oben auch nicht weiter stören.“

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