Rede Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Brasilien wurde im Dezember 2014 der Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission veröffentlicht, der die Menschenrechtsverbrechen der brasilianischen Militärdiktatur von 1964-1985 untersuchte. Und laut diesem Abschlussbericht war neben anderen Firmen auch Siemens in die brasilianische Militärdiktatur verstrickt. Laut dem Abschlussbericht (Vol.II, S.320) hat auch Siemens Brasilien das Folterzentrum Operação Bandeirantes (Oban) von 1969 bis Mitte der 1970er Jahre, dem Höhepunkt des staatlichen Terrors und Folterns in Brasilien, finanziell unterstützt. Laut neuesten Untersuchungen wurden im Oban, das ab 1970 DOI-CODI hieß, 66 Menschen ermordet, 39 von diesen starben dort unter den entsetzlichen Qualen der Folter. Von weiteren 19 Menschen stammt ihr letztes Lebenszeichen, dass sie verhaftet und ins DOI-CODI verbracht wurden. Seither gelten sie als verschwunden.

Ich zitiere den Satz aus Band II, Seite 320 des Abschlussberichts der nationalen Wahrheitskommission:

„Ao lado dos banqueiros, diversas multinacionais financiaram a formação da Oban, como os grupos Ultra, Ford, General Motors, 83 Camargo Corrêa, Objetivo e Folha. Também colaboraram multinacionais como a Nestlé, General Eletric, Mercedes Benz, Siemens e Light.“

Auf deutsch: „Neben Bankiers haben mehrere multinationale [Konzerne] den Aufbau des Oban finanziert, darunter Firmengruppen wie Ultra, Ford, General Motors, Camargo Corrêa, Objetivo und Folha. Des Weiteren kollaborierten Multis wie Nestlé, General Eletric, Mercedes Benz, Siemens und Light.“

Dies sind sehr schwerwiegende Vorwürfe.

Diese Vorgänge liegen 40 Jahre zurück – und weder Sie noch ich wissen genau, was damals passierte. Und die Quellenlage ist bis heute nicht 100% klar. Aber gerade deswegen muss Licht in das Dunkel der Vergangenheit gebracht werden.

[Abschaltung des Mikrophons durch den Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens AG, Gerhard Cromme]

Gerhard Cromme: Herr Russau! Das liegt jetzt 40 Jahre zurück! Uns interessiert Siemens heute. Wenn Sie also Fragen stellen zu Siemens heute….]

[Wiederanschaltung des Mikrophons durch den Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens AG, Gerhard Cromme]

Herr Cromme! Sie verunglimpfen das Angedenken der Menschen, die unter der Folter gestorben sind! Das ist zynisch!

Im vergangenen Jahr haben wir Volkswagen die gleichen Vorwürfe unterbreitet, und VW hat sich bereit erklärt, diese Vorgänge zu untersuchen und Unternehmenshistoriker an das Thema rangesetzt. Das Gleiche erwarten wir von Ihnen. Denn Siemens hat es bislang versäumt, diese Vorgänge umgehend untersuchen und aufzuklären zu lassen, nicht zuletzt angesichts des kürzlichen 50. Jahrestages des brasilianischen Militärputsches. Siemens muss sich seiner historischen Verantwortung stellen und sich dazu bekennen.

Ich frage Sie: Haben Sie Kenntnis über diese Vorgänge, wenn ja: welche? Falls Sie keine Kenntnisse darüber haben: Wann werden Sie eine Historikerkommission einsetzen, die sich mit diesen Vorgängen auseinandersetzen wird? Wenn Sie dergleichen nicht beabsichtigen, dann: warum nicht?

Nächster Punkt. Bleiben wir noch ein wenig in Brasilien.

Vermisst habe ich in den heutigen Ausführungen hier einige Worte zum U-Bahn-Kartell in São Paulo. Sie hätten doch etwas über die Millionenstrafen, über den Ausschluss von Staatsaufträgen oder über die Forderung der Staatsanwaltschaft, Siemens Brasilien wegen Beteiligung am UBahn- Kartell in São Paulo gerichtlich schliessen zu lassen, berichten können.

Ich frage Sie: was ist hier der neueste Stand und wie gedenkt Siemens, den öffentlichen Verkehrsbetrieben in São Paulo den entstandenen Milliardenschaden wiedergutzumachen?

Nächster Punkt: Es ist sehr bedauerlich, dass der Aufsichtrat der Siemens AG es versäumt hat, den Vorstand davon abzuhalten, den Erdöl-, Gas- und Fracking-Zulieferer Dresser-Rand zu erwerben. In Zeiten des Klimawandels ist die Beteiligung an Firmen, deren Geschäft auf der klimaschädlichen Ausbeutung fossiler Rohstoffe beruht, unzeitgemäß und nicht zu verantworten. Daher lehnen wir das ab.

Zudem beteiligt sich Siemens als Ausrüster und mit technologischen Lösungen an der Ausbeutung der kanadischen Ölsande, die besonders klimaschädlich sind und deren Abbau für die Biodiversität vor Ort katastrophale Folgen zeitigt.

Ich frage Sie: an welchen Öl- oder Teersandprojekten in Kanada beteiligt sich Siemens als Zulieferer? Wurde bei Zusage der Beteiligung und/oder Lieferung von Seiten Siemens Einsicht verlangt in die Umweltverträglichkeitsprüfungen? Wie kann sich Siemens beteiligen an der schmutzigsten der schmutzigsten Ölförderung?

Siemens verstößt zudem gegen UN-Leitprinzipien, Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Empfehlungen der Weltstaudammkommission und eigene Corporate-Governance-Richtlinien, da Siemens es versäumt hat, Prozesse zu etablieren, mit denen der Konzern Abhilfe für die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der operationellen Tätigkeit des JointVentures Voith Hydro hätte schaffen können. Meine Kolleginnen und Kollegen haben Ihnen dazu einiges zu sagen, von daher führe ich das jetzt hier nicht weiter aus.

Eine spezielle Kritik richtet sich an den Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens AG, Dr. Gerhard Cromme, der zu einer Belastung für das Unternehmen geworden ist. Insbesondere bei der Nachfolgeplanung für den Posten des Vorstandsvorsitzenden sind Dr. Cromme schwere Fehler unterlaufen. So ist er maßgeblich dafür verantwortlich, dass im Jahr 2012 der Vertrag des damals schon umstrittenen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher um fünf Jahre verlängert wurde. Bereits 2013 wurde Löscher per „Goldenem Handschlag“ verabschiedet, was die Siemens AG 17 Millionen Euro kostete.

Nächster Punkt: Es geht um die Wirtschaftsprüfung und transnationale Steuersparmodelle. Ich erinnere Vorstand und Aufsichtsrat an Ihre eigenen Vorgaben: Den Code of Conduct für Siemens-Lieferanten. Dort heißt es: „Nach klaren Nachhaltigkeits- und Integritätsgrundsätzen handeln: Diesen Anspruch richten wir nicht nur an uns selbst, sondern wir erwarten ein solches Verhalten auch von unseren Lieferanten. […] Durch entsprechende Klauseln in unseren Einkaufsverträgen und in den allgemeinen Bestellbedingungen müssen sich alle Siemens- Lieferanten verpflichten, diese Anforderungen einzuhalten und auch in der eigenen Lieferkette zu fördern.“

Nun, auch Wirtschaftsprüfer sind Lieferanten im engeren Sinne.

Dazu haben wir folgende Fragen:

Wie reagiert die Siemensführung auf die Verletzung der Nachhaltigkeits- und Integritätsgrundsätze an Lieferanten bei den bestellten Prüfern, die den Staat durch proaktiv eingeführte transnationale Steuersparmodelle mit mafiösen Geheimhaltungsvereinbarungen geschädigt haben?

Ist Siemens selbst in diese transnationalen Steuersparmodelle verwickelt? Bestehen Geheimhaltungsvereinbarungen über transnationale Steuersparmodelle mit Steuerberatern?

Ich komme nun zum Schluss.

Der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre hat unlängst die Kampagne „Meine Stimme für gerechte Löhne“ gestartet. Im Rahmen dieser Kampagne setzten wir uns für existenzsichernde Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und die Vereinigungsfreiheit von Beschäftigten in Aktiengesellschaften und ihren Zulieferfirmen ein.

Und dazu haben wir einigen Fragen an den Vorstand, die wir Ihnen vorab auch schon schriftlich hatten zukommen lassen. Von daher brauchen Sie jetzt nicht eifrig mitschreiben, Sie brauchen diese Fragen nur zu beantworten. Gerne hätten wir diese Antworten auch schriftlich an uns übermittelt.

1. Löhne im Unternehmen

1.1. Wie hoch sind die Gehälter von Führungskräften (in Euro) durchschnittlich bei Siemens (Vorstände und Vorstände der Tochterunternehmen herausgerechnet)?

1.2. Wie hoch sind die Löhne von Angestellten (in Euro) durchschnittlich bei Siemens ?

1.3. Wie hoch sind die Löhne von Arbeitern (in Euro) durchschnittlich bei Siemens?

2. Löhne in ausländischen Niederlassungen

2.1. Wie viele Niederlassungen hat Siemens im Inland?

2.2. Wie viele Niederlassungen hat Siemens im Ausland (Anzahl/Land)?

2.3. Wie hoch sind die Löhne von Angestellten und Arbeitern (in Euro) in ausländischen Niederlassungen im Durchschnitt?

3. Löhne bei Zulieferfirmen

3.1. Wie viele Zulieferfirmen hat Siemens?

3.2. In welchen Ländern sind diese Unternehmen angesiedelt (Anzahl/Land)?

3.3. Kennen Sie die Lohn- und Gehaltsstruktur dieser Unternehmen?

3.4. Wo liegen die Löhne 50 % oder mehr unter den durchschnittlichen Löhnen Ihrer Arbeiter und Angestellten in Deutschland?

4. Arbeitsbedingungen bei Zulieferfirmen

4.1. Kennen Sie die Arbeitsbedingungen in den Zulieferfirmen?

4.2. Wird das Unternehmen und die Zulieferfirmen von unabhängigen Kontrollinstanzen überprüft? – Wenn ja, von welchen? – Wenn nein, warum nicht?

4.3. Gibt oder gab es bei Ihren Zulieferfirmen Fälle, wo – der gesetzliche Mindestlohn unterschritten – der Arbeitsschutz verletzt – die Vereinigungsfreiheit von Arbeitern verboten oder behindert – Kinder beschäftigt wurden?

4.4. Nennen Sie die Fälle und beschreiben Sie, was Siemens dagegen unternommen hat!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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