Rede David Vollrath

Sehr geehrte Damen und Herren des Vorstands und Aufsichtsrats,

sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,

mein Name ist David Vollrath. Ich spreche für die Initiative GegenStrömung und das Belo-Monte -Netzwerk, ein Zusammenschluss von ca. 20 Organisationen aus den Bereichen Menschenrechte, Umweltschutz und Entwicklungspolitik. Wir setzen uns für ein menschenrechtskonformes Handeln von Unternehmen ein.

Ich stehe heute hier, weil sich das Unternehmen Siemens über ein Joint Venture mit Voith-Hydro an einem „illegalen Projekt“ beteiligt. Denn Siemens und Voith-Hydro liefern Turbinen für den Belo-Monte-Staudamm bei der Stadt Altamira am Fluss Xingu im brasilianischen Amazonasgebiet. „Alle BrasilianerInnen wissen heute dank Internet-Kommunikation, dass der Belo-Monte-Staudammbau illegal ist, unnötig und im Hinblick auf die Umwelt katastrophal.“, sagte der Staatsanwalt von Altamira, Felicio Pontes, bei einem Treffen mit EU-Abgeordneten im Juli 2013.

Herr Pontes bezieht sich in seiner Einschätzung auf die 22 Klagen, die bisher von der Bundesstaatsanwaltschaft MPF im brasilianischen Bundesstaat Pará gegen das Belo-Monte-Projekt eingereicht wurden. Und wenn Herr Pontes von einem „illegalen Projekt“ spricht, meint er auch die zahlreichen internationalen Rechtsverstöße, die beim Bau vom Belo-Monte begangen wurden und weiterhin begangen werden.

Die Internationale Arbeitsorganisation, der Interamerikanische Menschengerichtshof und der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker kritisierten mehrfach, dass beim Bau von Belo-Monte verschiedene, von Brasilien unterzeichnete, internationale Rechtsstandards missachtet werden. Sie forderten das Betreiberkonsortium Norte Energia auf, den Bau zu stoppen, bis alle Menschenrechts- und Umweltauflagen erfüllt sind. Norte Energia ignorierte dies und baute weiter. Auch Voith-Siemens wussten von den Menschenrechtsverletzungen und Rechtsbrüchen – und dennoch liefern sie weiterhin Ausrüstung und Material, damit der Belo-Monte-Damm weiter gebaut werden kann.

Aufgrund meiner beschränkten Redezeit kann ich Ihnen, sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, nicht alle Rechtsbrüche aufzählen, die mit dem Bau des Belo-Monte-Staudamms einhergehen. Allein das Aufzählen der 22 Klagebegründungen der Bundesanwaltschaft würde den ganzen Nachmittag dauern. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle auch die Aufzählung der internationalen Rechtsstandards ersparen, gegen die am Belo-Monte-Projekt beteiligten Unternehmen verstoßen.

In einem Dossier an den Siemens-Vorstand haben die Organisationen Amazon Watch, International Rivers und GegenStrömung ausführlich dargelegt, welche nationalen und internationalen Rechte durch den Bau des Belo-Monte-Kraftwerkes gebrochen werden. Ich möchte allerdings an dieser Stelle betonen, dass gemäß der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte Unternehmen die Verantwortung haben, sämtliche anerkannte Menschenrechte überall zu respektieren und einzuhalten.

Nach den UN-Leitlinien definiert sich verantwortungsvolles Verhalten derart, dass Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen sollen und negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit oder die ihrer Geschäftspartner feststellen, verhindern und mildern müssen. Dieser Verantwortung ist Voith-Siemens beim Belo-Monte-Projekt bisher nicht nachgekommen.

Auf den Hauptversammlungen der letzten beide Jahre sprachen bereits KollegInnen aus Deutschland sowie Betroffene aus Brasilien zum Thema und wiesen den Vorstand der Siemens AG auf die eklatanten Menschenrechtsvergehen beim Bau des Belo-Monte-Damms hin. Sie kritisierten, dass die Menschen mit ihren Problemen alleine gelassen werden, weil sie von den Unternehmen ignoriert werden und keine Informationen erhalten. Sie berichteten von der Vertreibung und Zwangsumsiedlung Zehntausender Menschen. Sie erzählten von struktureller und physischer Gewalt gegen Menschen, die versuchen ihre Rechte einzufordern. Sie beschrieben wie durch Umweltzerstörung die Existenzgrundlagen der indigenen Bevölkerung und der Flussanwohner/-innen zerstört werden. Sie schilderten wie sich Krankheiten, Gewalt und Kriminalität in der Stadt Altamira ausbreiten und eine ganze Region im Chaos versinkt.

Vor allem die Schwächsten leiden unter der Situation. Der spezielle Gesundheitsdienst für die indigene Bevölkerung alarmierte, dass seit Baubeginn des Belo-Monte-Damms 2011, die Zahl der an akutem Untergewicht leidenden indigenen Kinder um 53 Prozent gestiegen ist. Durch die vom Staudammbau verursachten Verschlechterung der Wasserqualität am Fluss Xingu leiden 92 Prozent der indigenen Kinder unter fünf Jahren an akutem Durchfall und die Fälle von Darmparasiten sind im selben Zeitraum um 244 Prozent gestiegen. Da sich seit dem Bau des Damms die Gesundheitsversorgung, anders als versprochen, nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert hat – bedeuten diese Zahlen in der Realität eine Lebensgefahr für Tausende betroffene Kinder.

Ich frage Sie, sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre und den Vorstand der Siemens AG:

Wie lassen sich diese eben beschriebenen Zustände vereinbaren mit dem von Siemens dargestellten Bild von „Nachhaltigkeit im Sinne zukünftiger Generationen, verantwortungsvoll zu handeln – wirtschaftlich, ökologisch und sozial“? Sind Renditen und Geschäftsinteressen wirklich wichtiger als Recht und Gesetz? Zählen Gewinne mehr als Menschenleben?

Der Vorstand von Siemens hatte nunmehr ein Jahr Zeit, Prozesse zu etablieren, mit denen der Konzern hätte Abhilfe für die Menschenrechtsverletzungen schaffen müssen, die durch seine Beteiligung an solchen Projekten mit verursacht werden. Bisher ist nichts geschehen.

Deshalb fordern wir vom Siemens-Vorstand weiterhin, dass sie endlich die UN-Leitlinien in ihre Unternehmenspraxis integrieren. Leiten Sie eine unabhängige Prüfung ein, die die Menschenrechtsverletzungen bei der Planung und Umsetzung des Belo-Monte-Staudammprojekts untersucht. Leiten Sie konkrete Maßnahmen ein, um die betroffene Bevölkerung angemessen zu entschädigen, die durch die Baumaßnahmen und deren Auswirkungen geschädigt wurde.

In diesem Sinne fragen wir Sie daher erneut:

Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die im Zusammenhang mit dem Belo-Monte-Staudamm verursachten Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und die betroffene Bevölkerung zu entschädigen?

Was werden Sie tun, um internationale Menschenrechtsstandards und -instrumente wie sie in den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte vorgegeben sind, in die Unternehmenspraxis zu übernehmen?

Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um bei zukünftigen Projekten zu garantieren, dass Menschenrechts- und Umweltgesetze nachweisbar eingehalten werden und sich der Siemens-Konzern auf dem Boden der nationalen und internationalen Rechtsgebung bewegt?

Im südamerikanischen Amazonasgebiet sollen Dutzende weitere Wasserkraft-Projekte gebaut werden. An welchen Wasserkraft-Projekten ist eine Beteiligung von Siemens bzw. Voith-Siemens geplant? Wie genau sieht diese Beteiligung aus?

Welche derzeit laufenden und geplanten Projekte von Voith-Siemens werden mit Instrumenten der Exportfinanzierung der Bundesrepublik Deutschland, z.B. über Hermesbürgschaften, finanziell unterstützt?

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