Rede von Christian Russau

Aus Krankheitsgründen war es unserem Vorstandsmitglied Herrn Russau leider nicht möglich, diese Rede auf der Hauptversammlung zu halten. Wir wollen sie unseren Leserinnen und Lesern dennoch nicht vorenthalten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau. Ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Gehen wir gleich in medias res.

Reden wir doch zunächst einmal über das U-Bahn-Kartell in São Paulo. Seit 2014 laufen in São Paulo die Prozesse gegen insgesamt 15 Firmen, denen die Bildung des sogenannten U-Bahnkartells vorgeworfen wird. Bei dem U-Bahn-Kartell ging es um Aufträge in Höhe von umgerechnet bis zu 130 Millionen Euro, bei denen die am Kartell beteiligten Firmen einen Aufpreis von 30 Prozent vereinbarten. Nun, ans Licht kam dies, weil Siemens im Zuge der Anti-Korruptionsermittlungen eine Selbstanzeige eingereicht hatte. Das ist löblich. Nicht löblich ist die offenbar anhaltende mangelnde Kooperationsbereitschaft von Siemens in Bezug auf Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft des Bundesstaats von São Paulo. Diese fordert wegen der Kartellabsprachen bei U-Bahn- und Regionalbahnzügen Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe von den Firmen, darunter auch Siemens Brasilien, Alstom Brasilien und Bombardier Brasilien.

Ich war im März vorvergangenen Jahres in São Paulo und habe den Staatsanwalt Dr. Marcelo Milani interviewt. Dr. Milani wirft im Interview Siemens vor, nicht hinlänglich bei der Aufklärung der Sachverhalte zu kooperieren und fordert zudem die gerichtliche Schließung von Siemens Brasilien. ZITAT DR. MARCELO MILANI: „Siemens, in Komplizenschaft mit anderen Firmen, ergatterte Aufträge der öffentlichen Hand seit dem Jahr 2000 auf Basis von betrügerischem Vorgehen. Eine Firma, die wiederholt betrügerisch handelt, darf in Brasilien nicht operieren. Siemens ist in Brasilien illegal tätig und muss deshalb aufgelöst werden. Das brasilianische Unternehmensrecht sieht genau das vor“, so Dr. Marcelo Milani im Interview vom 2. März 2016 in São Paulo. Eine Argumentation, die den in Deutschland aufkommenden Debatten und ersten juristischen Entwürfen zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts interessanterweise ziemlich nahekommt.

Im Entwurf des nordrhein-westfälischen Justizministeriums vom November 2013 für den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen in Deutschland wird unter § 12 „Verbandsauflösung“ ausgeführt: „Ist eine Straftat im Sinne des § 2 Absatz 1 dieses Gesetzes beharrlich wiederholt worden und lässt die Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Organisation des Verbandes die Gefahr erkennen, dass bei Fortbestand des Verbandes dessen Entscheidungsträger weiter erhebliche rechtswidrige Zuwiderhandlungen der bezeichneten Art begehen werden, kann das Gericht die Auflösung des Verbandes anordnen, soweit diese nach bürgerlichen Recht vorgesehen ist.“ Ein Unternehmen also, das wiederholt kriminell tätig ist, könnte demnach in Zukunft auch in Deutschland aufgelöst werden. Eine eigentlich spannende Frage, vergegenwärtigt man sich beispielsweise die Skandale eines großen deutschen Autobauers, den ich hier nicht namentlich erwähnen werde, der jüngsten Vergangenheit. In Brasilien ist dies – in der Theorie – schon jetzt möglich.

Und genau dies ist die juristische Argumentation des Staatsanwalts Dr. Marcelo Milani: Denn Siemens Brasilien habe sich, so Milanis Argumentation, bandenmäßig und organisiert mit anderen zu einer Straftat – der Kartellbildung – abgesprochen und diese Straftat wiederholt begangen. Dies entspräche damit der Definition Organisierter Kriminalität.

Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt. Ich zitiere den Staatsanwalt Dr. Marcelo Milani:

Hinzu kommt, dass es parallel dazu einen weiteren Punkt gibt, den wir im Rahmen unserer Untersuchungen herausgefunden haben: Der zur fraglichen Zeit verantwortliche Direktor von Siemens Brasilien, Adilson Primo, wurde vom Mutterkonzern in Deutschland seines Postens in Brasilien enthoben und entlassen, da im Zuge von internen Siemens-Ermittlungen festgestellt worden war, dass er und zwei weitere Siemens-Mitarbeiter ein geheimes Bankkonto in Luxemburg mit sieben Millionen Euros hatten. Es gibt starke Verdachtsmomente, die dafür sprechen, dass dieses Konto der Zahlung von Schmiergeldern diente. Siemens führte also die interne Untersuchung durch und stellte fest, dass Adilson Primo einer der Kontobefugten war. Aber Siemens hat uns nie diese Erkenntnisse ihrer Untersuchungen zukommen lassen. Nie. Wir haben mehrmals diesbezüglich nachgefragt. Unser vorrangiger Ansatz ist nicht, Siemens den Prozess zu machen. Wir wollen den durch Schmiergelder begünstigten Personen der brasilianischen Verwaltung und Behörden den Prozess machen. Dies ist unser prinzipieller Fokus. In Bezug auf Siemens liegt unser Fokus auf die Frage, dass Siemens die der öffentlichen Hand zugefügten Schäden ersetzt.“ ZITAT ENDE

Ich frage Sie konkret:

Hat Siemens diese von der Staatsanwaltschaft des Bundesstaats von São Paulo  angeforderten Informationen bezüglich des Luxemburger Kontos der Staatsanwaltschaft mittlerweile übermittelt?

Herr Kaeser, da Sie ja gerne Transparenz und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit predigen: Sollte sich im Rahmen Ihrer firmeneigenen Ermittlungen herausgestellt haben, dass im Zuge des Metro-Skandals von São Paulo auch Schmiergelder an Politiker von São Paulo geflossen ist, dann hat die brasilianische Öffentlichkeit ein Recht, davon zu erfahren. Bitte nennen Sie mir die Namen der brasilianischen Politiker und Behördenvertreter, die Ihren Erkenntnissen zufolge von Siemens/Siemens-Mitarbeitern im Zuge des U-Bahn-Kartells Zahlungen erhalten haben, sollte dies der Fall sein. Nennen Sie bitte auch die Daten und Höhen dieser Beträge.

Dazu möchte ich auch gerne von Ihnen wissen: Gibt es im Rahmen der publik gewordenen Informationen zu den sog. „Panama“-Papers und den „Paradise“-Papers neue Erkenntnisse bezüglich dieses Falls? Möchten Sie uns dazu vielleicht etwas mitteilen?

Nächster Punkt.

In den USA ist Siemens unter anderem mit der Tochterfirma Siemens Government Technologies (SGT) aktiv. Laut einem Pressebericht (DIE WELT, 1.1.16) agiert diese Siemens-Tochter im Auftrag von US-Regierungsbehörden und tut dies auf vertraglicher Anweisung unter kompletter Verschwiegenheit. Über das Aufgabengebiet der SGT wird nichts bekannt gegeben. Da SGT mit den US-Militärs Geschäfte macht, „arbeitet SGT abgekapselt vom Rest des Unternehmens. Es gelten die Pentagon-Sicherheitsauflagen und US-Gesetze“, so der Pressebericht. Dies ist natürlich komplett inakzeptabel, in Zeiten einer Trump-Regierung um so mehr. Oder wollen Sie Gefahr laufen, beispielsweise einen Ihrer E-House-Generatoren für ein zuerst harmlos wirkendes militärisches Gelände zur Verfügung zu stellen und hinterher dann vielleicht feststellen zu müssen, dass auf diesem Gelände Waterboarding praktiziert wurde? Immerhin haben wir es hier mit einem Präsidenten zu tun, der öffentlich erklärt hatte, Folter für zweckdienlich zu erachten. Also, stellen Sie diese Tochterfirma SGT schleunigst ab. Ohne Wenn und Aber.

Letzter Punkt.

Siemens ist auch am Bau der Transadriatischen Pipeline (TAP) beteiligt. In Albanien und Griechenland, durch die die Pipeline läuft, gibt es Proteste wegen mangelnder Konsultation, Kompensation und Zerstörung öffentlichen Lands. In Italien wehrt sich die ganze Region, in der die Pipeline landen soll, seit Jahren massiv gegen das Projekt, weil sie Schäden für Landwirtschaft und Tourismus befürchtet.

Hinzu kommt, last but not least: Die TAP-Pipeline soll mit Gas aus Aserbaidschan gespeist werden, ebenso ist der staatliche aserbaidschanische Öl- und Gaskonzern SOCAR am TAP-Konsortium beteiligt. Die Einnahmen aus dem Gasgeschäft festigen das autokratische Aliyev-Regime, das Kritiker verfolgt und verhaftet.

Hat sich Siemens mit den Problemen des Southern Gas Corridors/ TAPs und TANAPs beschäftigt, gerade auch mit der menschenrechtlichen Dimension der Pipeline und wie steht der Konzern zu der Kritik und hat er irgendwelche Konsequenzen daraus gezogen?

Dieses Engagement von Siemens reiht sich bei Ihnen leider ein in eine lange Kette über Geschäftsbeziehungen zu autokratischen, despotischen Regimen (auch dazu habe ich vor zwei Jahren zu Ihnen gesprochen, Sie können das jederzeit gerne nochmal auf unserer Webseite nachlesen, sollte Ihnen das entfallen sein).

Wissen Sie: Sich an sozialen und ökologisch katastrophalen Projekten nur um des Geldes Willen zu beteiligen, ist in meinen Augen schon verwerflich genug. Sich aber an ausgemachte Autokraten wie Aliyev, Al Sisi oder Erdoğan ranzumachen, zeugt im besten Fall von politischer Ahnungslosigkeit.

Oder es zeugt davon: Der große amerikanische Romancier Thomas Pynchon lässt in seinem Debütroman „V“ den Ingenieur Kurt Mondaugen sagen: „Verstehen Sie doch, ich bin Ingenieur. Ich interessiere mich nicht für Politik.“

Sollten Sie aber.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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