Rede von Thilo F. Papacek

Sehr geehrter Herr Kaeser, sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,

mein Name ist Thilo Papacek, ich arbeite bei der Organisation GegenStrömung und vertrete hier Aktionärinnen und Aktionäre die ihr Stimmrecht dem Dachverband Kritischer Aktionäre übertragen haben.

Bereits im vergangenen Jahr war ich hier auf der Hauptversammlung und habe angesprochen, dass Siemens als Teilhaber des Joint Ventures Voith Hydro an zahlreichen Wasserkraftprojekten beteiligt ist, die zu massiven menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Problemen führen.

Meine Kollegin Andrea Lammers hat ja bereits den Fall Agua Zarca in Honduras angesprochen. Letztes Jahr haben sie zu diesem Fall gesagt, dass sie es als eine Aufgabe der Unternehmensführung der Siemens AG sehen, dafür Sorge zu tragen, dass bei den Projekten, die Voith Hydro beliefert, Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten werden.

Innerhalb des letzten Jahres habe ich keine bedeutende Entwicklung in diese Richtung bei der Siemens AG beobachten können.

Nehmen wir das Projekt Alto Maipo in Chile. Im Großraum der Metropole Santiago de Chile will die chilenische Betreibergesellschaft AES Gener mehrere Zuflüsse des Maipo- Flusses umleiten, um Strom zu generieren. Auf 532 Megawatt Kapazität soll der Kraftwerkkomplex kommen. Die Voith Hydro hat dabei den Auftrag erhalten, die gesamte elektromechanische Ausrüstung, die Turbinen und das Projektmanagement zu liefern.

Doch die Menschen vor Ort wollen dieses Kraftwerk nicht. Gutachten zufolge könnten 120.000 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche im Maipo-Tal ausfallen, da sie nicht mehr genug Wasser erhalten. Ein ökologisch wertvolles Naturschutzgebiet könnte austrocknen. Die chilenische Umweltbehörde zeigte im vergangenen Jahr 14 Verstöße gegen die Baugenehmigung an, neun davon gelten als schwerwiegend.

Durch die Bauarbeiten wird die Wasserversorgung der Metropolregion Santiago de Chile bedroht. Im vergangenen Jahr kam es im April zu einem dreitägigen Ausfall der Wasserversorgung von 4 Millionen Menschen, da der Schutt der Bauarbeiten das Wasser des Maipo verschmutzte.

Aufgrund von Problemen bei den Bauarbeiten steigen die Gesamtkosten des Projektes voraussichtlich von Anfangs veranschlagten 700 Millionen US-$ auf 3 Mrd. US-$. Das Bauunternehmen Hochtief ist wegen dieser Probleme mittlerweile aus dem Projekt ausgestiegen.

Das brachte nun auch die Finanziers auf den Plan: Verschiedene beteiligte Banken, darunter die Weltbank, kündigten an, wegen der Umweltverstöße die Auszahlung weiterer Kredittranchen zu überprüfen. Unter den Finanziers befindet sich auch die KfWIPEX Bank, die zur Aufgabe hat, deutsche Unternehmen bei der Exportfinanzierung zu unterstützen. Die Finanzierung von Alto Maipo durch die KfW-IPEX hängt also direkt damit zusammen, dass deutsche Unternehmen, darunter über Voith Hydro auch Siemens, sich an dem Projekt beteiligen.

Herr Kaeser, hier haben sie die Möglichkeit einzugreifen: Wenn Siemens seinen Einfluss bei Voith Hydro geltend macht, und verlangt, das das Unternehmen sich nicht weiter an Alto Maipo beteiligt, könnte das unmittelbar dieses Projekt beenden, das die Menschen vor Ort so sehr ablehnen.

Ein anderes Beispiel ist der Staudamm Site C, der in British Colombia, in Kanada entstehen soll. Für das 1.100 Megawatt Kraftwerk sollen 55 Quadratkilometer überflutet werden, der Damm wird Auswirkungen auf die Flussökologie und die Landwirtschaft der gesamten Region haben.

Der Strom, der in Site C gewonnen werden soll, wird derzeit in British Colombia nicht benötigt. Und wenn man vom derzeitigen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ausgeht, ist der Damm auch wahrscheinlich nicht zu rechtfertigen.

Weshalb dann Site C? Ein Grund ist der, den die nordamerikanische Umweltorganisation Mongabay nennt: Demzufolge soll der der Strom dazu dienen, in entsprechenden Anlagen Erdgas für den Export zu verflüssigen.

Herr Comme erklärte ja eben, dass Siemens sich an der Umgestaltung einer vierten Industrialisierung, weg von fossilen Brennstoffen, beteiligt. Doch das Projekt Site C, an dem Siemens über Voith Hydro beteiligt ist, dient letztlich einer Industrie, die zutiefst in der alten, auf fossilen Brennstoffen basierenden Technologie verwurzelt ist.

Doch Site C verstößt auch gegen die Rechte der Indigenen dieser Region. Der Vorsitzende der „Assembly of First Nations“, also der Vertretung der indigenen Bevölkerung Kanadas, Chief Perry Bellegarde, erklärte, dass der Bau des Site-C Staudamms im krassen Gegensatz zur Wiedergutmachungspolitik Kanadas gegenüber der indigenen Bevölkerung stehe. Denn der Staudamm wird den Flusslauf unterbrechen und gefährdet damit den traditionellen Fischfang der dort lebenden Indigenen. Auch ein indigener Friedhof soll überflutet werden.

Die Indigenen der West Moberly First Nations und der Prophet River First Nations erklärten deshalb, dass sie vor Kanadas Verfassungsgericht gegen das Projekt klagen werden. Denn nach ihrem Dafürhalten verstößt Site C gegen die Rechte, die im „treaty 8“ von 1899 zwischen Königin Victoria und indigenen Vertretern ausgehandelt worden waren. Für die Indigenen Kanadas sind diese „numbered treaties“ genannten Verträge heilig, denn in ihren Augen garantieren sie ihr Überleben, nachdem sie sich jahrhundertelang Vertreibung, Enteignung und anderen Verbrechen ausgesetzt sahen.

Herr Kaeser, ich fände es ungeheuerlich, wenn Voith Hydro, also auch Siemens, sich an Site C als Zulieferer beteiligt und damit direkt aus dem Verstoß gegen den Treaty 8 Profit schlägt.

Viele Menschen in British Colombia befürchten zudem eine Erhöhung des Strompreises wegen dieses pharaonischen Projekts. Es entsteht eine breite Protestbewegung gegen Site C. Denn derStaudamm wird weit mehr kosten, als ursprünglich veranschlagt, wahrscheinlich 12 Milliarden kanadische Dollar, statt ursprünglich acht. Zu diesem Ergebnis kam Ende vergangenen Jahres eine Kommission, die untersucht hat, ob es sich mehr lohnt, die Bauarbeiten abzubrechen, anstatt den Damm zu vollenden. Die Untersuchungskommission sprach sich für den Damm aus, doch in der Entscheidung, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen worden.

Wenn ein bedeutendes Unternehmen wie Voith Hydro nun aussteigen würde, wäre dies ein sehr gewichtiges Argument gegen das Projekt. Unterschätzen sie hier ihre Verantwortung nicht, Herr Kaeser!

Herr Kaeser, nach den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte haben sie als Unternehmensführer dafür Sorge zu tragen, dass bei den Projekten, an denen sie sich beteiligen, Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden; entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Es reicht eben nicht, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, Voith Hydro sei ja nur Zulieferer der von mir genannten Projekte und für die Einhaltung der Sozial- und Umweltprobleme nicht zuständig. Es trifft sie sehr wohl eine Mitverantwortung.

Herr Kaeser, ich fordere sie hiermit deutlich auf: Lernen Sie aus dem Desaster Agua Zarca!

Machen Sie ihren Einfluss bei Voith Hydro geltend und sorgen sie dafür, dass das Unternehmen sich nicht an den Projekten Alto Maipo, Site C oder anderen ähnlich problematischen Fällen beteiligt!

Deshalb meine Fragen:

  • Haben sie sich mit den Problemen um das Projekt Alto Maipo beschäftigt? Welche Konsequenzen ziehen sie daraus?
  • Haben sie sich mit den Problemen um das Projekt Site C beschäftigt? Welche Konsequenzen ziehen sie daraus?
  • Angesichts zahlreicher wissenschaftlicher Studien, die belegen, dass Wasserkraftwerke deutlich weniger klimafreundlich sind, als bislang gedacht: Denkt Siemens darüber nach, mittelfristig aus dem Geschäft mit mittleren und großen Wasserkraftwerken auszusteigen?

Für mich ergibt sich aus der bisherigen Erfahrung, dass die Unternehmensführung der Siemens AG bislang nur mangelhaft ihrer Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt nachgekommen ist.

Ich verweigere aus diesem Grund dem Vorstand die Entlastung und fordere die anwesenden Aktionäre auf, dies ebenfalls zu tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

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