„Richtungsentscheidung nach 173 Jahren“: Rede von Helena Marschall

Rede von Helena Marschall, Fridays for Future, auf der Siemens Hauptversammlung 2020

Hallo ich bin Helena Marschall, ich bin 17 Jahre alt und spreche für Fridays for Future. Uns wurde es durch die Kritischen Aktionäre ermöglicht hier zu sprechen. Dankeschön an der Stelle.

173 Jahre. So lange gibt es Siemens inzwischen. Als dieses Unternehmen gegründet wurde, war die Welt eine andere. 

Es sind 173 Jahre, in denen Revolutionen und Weltkriege angezettelt und ausgetragen wurden; 173 Jahre, in denen sich unvorstellbare technische Entwicklungen ereigneten und unsere Lebensstandards auf ein neues Level gehoben wurden. 

Doch nie hat sich die Welt schneller verändert als heute, nie stand mehr auf dem Spiel, nie war der Grad der ökologischen Zerstörung global so existenziell. Und nie war die Verantwortung auf Schultern der großen Unternehmen der Welt schwerer. Siemens wird dieser Verantwortung nicht gerecht. Das ist fatal – und der Grund, warum ich heute hier spreche. 

Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles ändert. 

Nie war dieser Satz treffender als jetzt. Ich wachse in einem Zeitalter auf, in dem Eltern nicht mehr darüber entscheiden, wie sie die Zukunft ihrer Kinder verbessern. Sie entscheiden nur noch darüber, inwieweit sie eine kommende Katastrophe eindämmen.

Ich und Sie wissen, dass dieses Jahr und die wenigen danach, die entscheidenden Jahre für die Zukunft der Menschheit sind. Wenn wir über Klimaneutralität sprechen, dann ist das für uns kein Werbeslogan zur Selbstprofilierung. Nein – uns geht es darum, heute einen Weg einzuschlagen, der es uns ermöglicht eine Zukunft zu haben, in der wir noch gut leben können. Denn um nichts weniger als das geht es. Junge Menschen haben das erkannt und daraufhin 2019 alles daran gesetzt, die Verhältnisse zu ändern. Wir haben in den dreizehn Monaten seit unserem Bestehen weit über 3.000 mal gestreikt und Millionen auf die Straßen gebracht. Wir haben deutlich gemacht, dass es eben nicht reicht, die eigene Verantwortung, immer und immer wieder in leeren Versprechen hochzuhalten. 

Wir haben deutlich gemacht, dass Verantwortung Taten verlangt, und spürbare, messbare Konsequenzen. Alles andere bringt uns nichts. 

Während die Welt an einigen Orten wie in Australien buchstäblich in Flammen steht, streiten wir hier darüber “wie schlimm es wirklich ist”, und ob jetzt nicht auch mal gut sei mit der “Panik”.  Diese Scheindebatten haben Folgen: die deutsche Klimapolitik gleicht einem Totalausfall, unsere Klimaziele werden bei weitem verfehlt und Paris ist nicht mal in Sichtweite. Ich frage mich von welchem Land man noch echten Klimaschutz erwarten und fordern kann, wenn nicht mal ein reiches Land wie Deutschland gewillt ist loszulegen. Mit dem lächerlichen Klimapaket entzieht sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung, verschließt die Augen vor der drohenden Katastrophe und versteckt sich vor den offensichtlichsten Verpflichtungen.

Sie hinterlässt dabei eine Lücke, die so groß ist, dass sie von anderen Akteuren kaum geschlossen werden kann. Sie, Herr Kaeser, haben aber zumindest die Notwendigkeit dahinter erkannt, als Unternehmen Verantwortung zu übernehmen. “Wenn Regierungen keine nachhaltigen Rahmenbedingungen schaffen, müssen es Unternehmen tun” – das haben Sie sinngemäß vor wenigen Monaten gesagt. 

Was wir also brauchen sind Instanzen aus der Wirtschaft, die ihrer globalen Verantwortung ehrlich gerecht werden. Ist Siemens so ein Akteur? Bisher nicht, und das ist entsetzlich. 

Auch Sie bewegen sich in denselben Mustern, die uns seit Ende 2018 auf die Straßen treiben. Denn wenn es über Ankündigungen zum Klimaschutz hinausgeht und wenn harte Entscheidungen getroffen werden müssen, treffen auch Sie nach wie vor die falsche Wahl. Die Adani-Kohlemine in Australien ist da nur die Spitze des Eisbergs – aber hier wird deutlich, dass die nachhaltigen Bemühungen Ihres Konzerns am Ende sehr schnell zur Seite geschoben werden.

Ich denke, dass allen Anwesenden hier klar ist, dass es um viel mehr geht, als um die bloße Beteiligung an Adani. Es geht im Kern um etwas viel Größeres: Um Siemens´ heuchlerische Inszenierung als Klimaschutzkonzern, eine Inszenierung, die an den realen, wirtschaftlichen Entscheidungen des Konzerns kläglich zerscheppert, und gleichzeitige trügerische Standards setzt. 

Siemens nimmt es für sich in Anspruch, die eigene Verantwortung verstanden zu haben, und beweist jedoch im gleichen Atemzug, dass es die logischen, aber unbequemen Konsequenzen aus dieser Verantwortung nicht ziehen möchte. 

Siemens möchte beweisen, wie ein globaler Konzern zum Teil der Lösung werden kann. Doch was macht Siemens? Es rechnet sich die Welt schön, und erhebt dies zum Standard. Das ist nicht tragbar. Ein Konzern, der behauptet das Paris-Abkommen zu unterstützen, ist gefragt, jede Investition, jeden Vertrag auf das 1,5-Grad-Ziel hin zu unterstützen. Alles andere ist Schönfärberei! 

Es ist bewiesen, dass eine Einhaltung aller Verträge, die heute schon zu fossilen Energieprojekten unterzeichnet wurden, zu mehr als zwei Grad Erwärmung führen würden. Es werden Verträge effektiv aufgebrochen werden. Nicht nur in Australien, sondern auf der ganzen Welt. 

Denn die befindet sich gerade im Umbruch. Die wissenschaftliche Realität lässt uns keine andere Wahl, als uns so schnell wie nötig von fossilen Energieträgern zu verabschieden. 

Das Absurde ist, dass wir im Ergebnis das Gleiche wollen: Wir wünschen uns gemeinsam ein Unternehmen, das diesen Entwicklungen nicht hinterherläuft. Wir wollen ein Siemens, das diese Transformation als Vorreiter gestaltet und damit auch den ZUKÜNFTIGEN Anforderungen seiner Kunden, Anteilseigner, Mitarbeitern und der Gesellschaft gerecht wird. 

Doch diese Transformationen gestalten sich nicht von alleine. Vorreiter und Gestalter zu sein, heißt, hinreichende Transformationspfade zu entwickeln. Hinreichend nicht nur gegenüber den geschäftlichen Zielen, sondern auch gegenüber den neuen Rahmenbedingungen. Und diese Rahmenbedingungen sind klar: Sie sind das Emissionsbudget von etwa 750 Gigatonnen (Gt) weltweit und die Feststellung, dass damit über 80% der bekannten Kohle-, Öl- und Gasvorkommen im Boden bleiben müssen. Nur so kann das Paris-Abkommen eingehalten werden. 

Was ist zu tun?

Wer diesen Rahmenbedingungen als Unternehmen nicht gerecht wird, verliert nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz, sondern damit auch seine “License to Operate”. Sie verlieren Ihre Kunden – zumindest die zukünftigen – und damit ihre Absatzmärkte.

Was es jetzt braucht, ist ein Plan von Siemens, wie Sie im Rahmen des 1,5-Grad-Ziels so schnell wie nötig aus den Fossilen aussteigen. Ein Unternehmen, das wirklich zukunftsfähig ist, kann es sich nicht weiter leisten, fossile Projekte zu unterstützen, die diese Erde bis weit über 2050 hinaus an Kohle, Öl und Gas binden. Es braucht einen echten Schnitt. Und dieses Jahr ist nicht nur der notwendige, sondern für Siemens auch der genau richtige Zeitpunkt.

Nach 173 Jahren steht für Sie nun eine Richtungsentscheidung an. In wenigen Monaten spalten Sie Ihren Konzern auf und gehen mit Siemens Energy an die Börse. 90.000 Mitarbeiter weltweit werden Teil eines Unternehmens sein, das diese Transformation mehr als jedes andere verkörpern kann und muss. 

Nach 173 Jahren liegt es nun an Siemens, diesen neuen Weg einzuschlagen. 

Stellen Sie sich die Welt kurz nach den nächsten 173 Jahren vor.  Wie wird sich die Klimakrise auf unsere Lebensgrundlagen Ende des 22. Jahrhunderts ausgewirkt haben? Wird Siemens als Konzern auch dann noch bestehen und wenn ja, wie erfolgreich werden Sie sein? All das entscheidet sich jetzt.

Doch dafür braucht es Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und echte Taten. Was wir uns nicht mehr leisten können, sind Absichtserklärungen, die am Ende dann doch nur leere Versprechen bleiben. Schöne Nachhaltigkeitskampagnen helfen uns an diesem Punkt allen nicht mehr weiter – auch Ihnen als Aktionärinnen und Aktionären nicht.

Vor und hinter mir sitzen eine mächtige Gruppe Menschen, die die Zukunft mit einläuten können oder an der Zerstörung eben dieser weiter Hand anlegen. Sie alle in diesem Raum Heute tragen eine riesige Verantwortung.

Normalerweise hätte ich jetzt Deutschunterricht, im März schreibe ich Abitur, aber die Verhältnisse ändern sich, und in Zeiten wie diesen, in denen die Welt aus den Fugen gerät, und ökologische Kipppunkte in greifbarer Nähe sind, sind wir gefragt, unsere Prioritäten den Ansprüchen der Zeit anzupassen, und deshalb bin ich jetzt eben nicht im Deutschunterricht, sondern hier. Und jetzt frage ich Sie, Ihre Prioritäten den Ansprüchen der Zeit anzupassen und die Last die Ihnen längst schon zugewiesen ist, zu tragen. Sie haben eine Verantwortung und eine Chance – machen sie was daraus. 

Ich möchte mit 2 Fragen schließen, einmal an den Vorstand:

  • Haben Sie einen Plan, nachdem ihr Unternehmen nicht nur in der Produktion Klimaneutral wird, sondern ein Ausstieg aus fossilen Projekten im Rahmen des 1,5-Grad-Ziels erfolgt?
  • Mit dem Börsengang der Siemens Energy AG haben Sie eine gewaltige Möglichkeit, die Transformation mitzubestimmen. Zu welchen Anteilen wird das Geschäftsmodell der AG beim Börsengang aus fossilen Energieträgern bestehen?

    Danke.

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