(Es gilt das gesprochene Wort.)
Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,
sehr geehrte Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats,
mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten setzen wir uns für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt und Frieden ein.
In unserem Gegenantrag kritisieren wir neben Rüstungsexporten in Konflikt-, Krisen und Kriegsregionen und unzureichender Wahrnehmung Ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auch Ihre Klimastrategie sowie Ihre Klimaziele als zu wenig ambitioniert. Zu Ihren Klimazielen möchte ich hier wie folgt Fragen stellen.
1. Thema: Klimastrategie und Klimaziele
Letzten Jahr hatte ich noch kritisiert, dass Sie keine Klimaziele im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen hatten. Mittlerweile haben Sie hier nun deutlich nachgebessert: klimaneutral bis 2050 und bis 2030 rund 30 Prozent bei den Emissionen aus eigener Produktion.
Grundsätzlich ist dies begrüßenswert. Ihre Ziele wurden von der Science Based Targets Initiative (SBTi) als wissenschaftsbasiert anerkannt. Jedoch wurde hier nur bestätigt, dass Ihre Ziele für die Treibhausgasemissionen aus dem operativen Geschäft (Scope 1 und 2) im Einklang mit dem Ziel stehen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen – nicht aber mit dem eigentlich erstrebenswerten Ziel einer Begrenzung auf maximal 1,5 Grad. Dafür ist Klimaneutralität bis 2050 zu spät.
Nur die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad würde die Risiken und Folgen des Klimawandels deutlich vermindern. Diese Risiken, die von zukünftigen Generationen und vor allem von den Menschen und Ökosystemen im Globalen Süden ertragen werden müssen, nehmen Sie demnach in Kauf. Andere Unternehmen gehen nun deutlich ambitioniertere, wissenschaftsbasierte Maßnahmen an, die im Einklang mit dem „1,5-Grad-Ziel“ stehen.
Daher frage ich Sie: Haben Sie sich ursprünglich an dem „1,5-Grad-Ziel“ orientiert und dann ein Erreichen als nicht realistisch eingeschätzt? Wenn ja, aus welchen Gründen? Oder haben Sie sich von Anfang an dem „2-Grad-Ziel“ orientiert? Wenn ja, aus welchen Gründen?
Immerhin gibt sich Thyssenkrupp auch ein Ziel für die Emissionen aus der Anwendung der Produkte und Technologien durch den Kunden (Scope 3). Doch auch hier sind die Zielsetzung von 16 Prozent weniger als 2017 bis zum Jahr 2030 zu erreichen, dies ist alles andere als ambitioniert. Um das „1,5-Grad-Ziel“ einhalten zu können, muss Thyssenkrupp hier mehr Druck auf Zulieferer und Kunden ausüben – nur so kann der globale Einfluss von Thyssenkrupp effektiv für den Klimaschutz genutzt werden. Was sind die Gründe, bei der Lieferkette bzw. Scope 3 ein deutlich weniger ambitioniertes Ziel auszugeben?
Ihr Werk in Duisburg zählt nach Angaben des Umweltbundesamtes zu den Industrieanlagen mit den höchsten CO2-Emissionen in Deutschland – von den Braunkohlekraftwerken einmal abgesehen. Ihr viel zu später Einstieg in CO2-freie Stahlerzeugung ist zumindest einer der Gründe, weshalb hier Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Mit ihren zwei Ansätzen „Carbon2Chem“ und der „Wasserstoffroute“ haben sie immerhin konkrete Maßnahmen, um „grünen Stahl“ herstellen zu können. Wie ist Ihre Einschätzung, diese Technologien schneller als bisher geplant im großen Stil einsetzen zu können?
2. Thema: Ausschreibungsniederlage bei Mehrzweckkampfschiff 180
ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) hat den wichtigen Auftrag der Bundeswehr für vier neue Mehrzweckkampfschiffe (MKS) 180 nicht erhalten. In diesem Zusammenhang ergeben sich für uns Fragen zur Zukunft des Marineschiffbaus, der ja mittlerweile direkt bei der Konzernleitung angebunden ist:
1.) Hält Thyssenkrupp nach der Vergabeentscheidung weiter an den geplanten Investitionen zur Verbesserung der Infrastruktur und der Personalsituation in seiner Kieler Werft fest? Ist mit Abstrichen an diesen Planungen zu rechnen und ja mit welchen?
2.) Welche Pläne verfolgt TKMS derzeit im Blick auf seine Firmen Atlas-Elektronik, Blohm + Voss Shipyards & Services und TKMS Blohm + Voss Nordseewerke im Einzelnen? Sollen einzelne Geschäfts- oder Produktbereiche verkauft oder geschlossen werden und wenn ja welche?
3.) Wird die Beschaffungsentscheidung in Sachen MKS 180 auch Auswirkungen auf andere Konzernteile von Thyssenkrupp wie z.B. den Stahlbereich haben? Mit welchen Auswirkungen auf welche Konzernteile rechnen Sie konkret?
4.) Denkt Thyssenkrupp nach dieser Entscheidung über einen Rückzug aus dem militärischen Überwasserschiffbau nach? Zu welchen Zwischenergebnissen sind Sie bislang gekommen?
5.) Welche genauen Gründe wurden TKMS seitens des Auftraggebers für MKS 180 dafür genannt, dass die Vergabe dieses Auftrags an einen anderen Wettbewerber erfolgte?
6.) Hat das Führungs- und Waffeneinsatzsystem der Fregatte 125, das bei der TKMS-Tochter Atlas-Elektronik (AE) entwickelt und gebaut wurde, inzwischen die Zulassung erhalten?
7.) Ist aus Ihrer Sicht damit zu rechnen, dass AE an Entwicklung und Bau des Führungs- und Waffeneinsatzsystems für MKS 180 beteiligt wird und wenn ja, in welchem Umfang?
8.) Wie hoch sind jeweils die anteiligen Pensionsverpflichtungen von Thyssenkrupp, die auf die TKMS-Töchter Atlas-Elektronik, Blohm + Voss Shipyards & Services und TKMS Blohm + Voss Nordseewerke entfallen?
3. Thema: Historische Verantwortung
Aus aktuellem Anlass möchte ich noch Fragen zu Ihrer historischen Verantwortung stellen. Diesen Montag hat sich die Befreiung von Auschwitz zum 75. Mal gejährt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat letzten Donnerstag als erstes deutsches Staatsoberhaupt in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gesprochen, Zitat:
„Der industrielle Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte – es wurde von meinen Landsleuten begangen.“
Letztes Jahr, kurz vor seiner Entlassung, besuchte auch Guido Kerkhoff mit jungen Mitarbeiter*innen von Thyssenkrupp Yad Vashem und sagte dabei – ich zitiere:
„Die Tatsache, dass unsere Firmen Thyssen und Krupp eine aktive Rolle an der Shoa hatten, bedeutet für uns eine immense Verantwortung. Bis heute sind wir tief beschämt darüber, dass unser Unternehmen Teil eines Systems war, das so viele Menschenleben zerstört hat. Wir müssen erinnern, Gesicht zeigen und unsere Stimme erheben.“
Angesichts von 100.000 Zwangsarbeiter*innen und KZ-Insassen bei Krupp und die anfängliche, aktive Unterstützung der NSDAP durch Thyssen sind dies nachvollziehbare Worte, die wir in dieser Deutlichkeit sehr begrüßen.
Die ARD erinnerte kürzlich sowohl im Spielfilm- als auch Dokumentationsformat daran, dass Berthold Beitz für die Lebensrettung von etwa 250 Jüdinnen und Juden als „Gerechter unter den Völkern“ in Yad Vashem ausgezeichnet wurde.
Da nun Herr Kerkhoff nicht mehr Vorstandsvorsitzender ist, frage ich Sie als aktuelle Mitglieder des Vorstands: Setzen Sie sich auch dafür ein, dass Thyssenkrupp an diese historischen Bezüge des Unternehmens mit dem Nationalsozialismus erinnert? Was bedeutet für Sie diese historische Verantwortung konkret?
Wir würden es sehr begrüßen, wenn auf der Internetseite von Thyssenkrupp detaillierter als bisher die Rolle von Krupp und Thyssen in Bezug auf NS-Herrschaft und Shoa dargestellt werden könnte.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.