„Für ‚Herkulesaufgabe‘ Dekarbonierung fehlen entsprechend ambitionierte Umbaupläne und Investitionen“: Rede von Tilman Massa


Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich bin Co-Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir ein stärkeres Engagement von Thyssenkrupp bei Menschenrechten und beim Umwelt- und Klimaschutz.

Wir sehen bei diesen Themen weiterhin massiven Nachholbedarf, der auch im letzten Geschäftsjahr nicht substantiell von Ihnen aufgeholt worden ist. Wir entlasten daher den Vorstand nicht und haben einen entsprechenden Gegenantrag eingereicht, den ich hiermit auch formal stelle.

Beginnen möchte ich aber mit einem Lob an den Vorstand: Sie haben zu unseren Gegenanträgen schriftlich Stellung bezogen. Inhaltlich sehe ich unsere Kritikpunkte aber vielmehr bestätigt als entkräftet. Ich möchte daher nun direkt auf Ihre Stellungnahme eingehen und dazu Fragen stellen, dann müssen Sie auch nicht die bereits bekannten Antworten wiederholen – so hoffe ich.

Virtuelle Hauptversammlung

Zunächst muss ich aber auf das aktuelle, virtuelle Format dieser Hauptversammlung zu sprechen kommen. Wir begrüßen, dass Sie auch weiterhin die Hauptversammlung vollständig öffentlich über Ihre Internetseite übertragen. Sie sind damit auch gegenüber der interessierten Öffentlichkeit transparenter sind als andere Aktiengesellschaften.

Doch mit der aktuellen Hauptversammlung haben Sie bewiesen, dass Sie neue gesetzliches Möglichkeiten für virtuelle Hauptversammlungen nicht nutzen wollen. Sie darauf verzichtet, uns Aktionär*innen die Möglichkeit zu geben, Fragen schon vorab schriftlich einreichen zu können und die Antworten dazu auch für alle transparent zu machen. So hätte das Frage- und Informationsrecht besser umgesetzt werden können. Die Diskussion könnte in der Hauptversammlung selbst auf wichtige Punkte und Nachfragen fokussiert werden. Nicht alle haben die Zeit, auf der Hauptversammlung wichtige Fragen zu stellen, deren Antworten auch für alle und das Abstimmungsverhalten relevant sein können.

Unter Tagesordnungspunkt 8 fordern Sie uns auf, den Vorstand zu ermächtigen, auch in den nächsten zwei Jahren eigenständig über das Format entscheiden zu können. Diesen Vorschlag lehnen wir ab.

Denn: Das Format und die Art und Weise, wie eine Hauptversammlung durchgeführt wird, betreffen elementare Aktionärsrechte. Daher sollte nach unserer Auffassung die Hauptversammlung – und nicht der Vorstand – darüber entscheiden, zu welchen Bedingungen bzw. in welchem Format zukünftige Hauptversammlungen durchgeführt werden sollen. Wir fordern Sie dazu auf, der Hauptversammlung auch die Option eines hybriden Formats vorzuschlagen, welches die Vorteile einer Präsenz-Hauptversammlung mit jenen einer rein virtuellen Veranstaltung verbindet. Daher meine Frage: Haben Sie die Option einer hybriden Hauptversammlung, an der sowohl in Präsenz als auch virtuell teilgenommen werden kann, geprüft oder haben dies vor? Was sind Ihre jeweiligen Gründe?

Dividende

Wie wir in unserem Gegenantrag dargelegt haben, lehnen wir Ihren Dividendenvorschlag als unverantwortlich ab. Thyssenkrupp benötigt jeden erwirtschafteten Cent für dringend nötige Investitionen, um die eigenen Klimaziele erreichen zu können.

Wir stehen mit unserer Kritik an Ihrem Dividendenvorschlag nicht alleine da. Die vor allem durch gestiegene Preise und weniger durch Ihr erfolgreiches Management erzielten Gewinne können kaum die weiterhin hohen Energiekosten und steigende Zinsen ausgleichen. Angesichts der aktuellen Krisen und damit einhergehenden Unsicherheiten sollten Sie aktuell keine Dividende zahlen. Frau Merz, Ihre Ausführungen zu den Problemen beim Transformationsprozess und des wirtschaftlichen Umfelds sprechen für sich.

Die über 93 Mio. Euro, die Sie als Dividende ausschütten wollen, sollten besser nachhaltig investiert werden. Vor allem die Stahlsparte muss fit für die Zukunft gemacht werden und braucht mehr Investitionen – unabhängig davon, ob sie im Konzern bleibt oder nicht. Denn auch von den aktuellen Investitionen, Frau Merz, hängt ab, wie die Kapitalmärkte Ihr Stahlgeschäft bewerten – als fossiles, vernachlässigtes „stranded asset“ oder zukunftsfähiges Geschäftsmodell.

Uns stört aber auch dies: Hauptsächlich wegen der weiterhin fossilen Stahlproduktion gehört Thyssenkrupp zu den klimaschädlichsten Konzernen Deutschlands. So ist allein das Stahlwerk in Duisburg für etwa zwei Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich. Frau Merz, Herr Russwurm: Sie haben es in Ihren Eingangsreden erwähnt: Sie bekommen üppige Staatshilfen von der Bundesregierung und dem Land NRW für den Bau der ersten Direktreduktionsanlage, wenn die EU grünes Licht gibt. Für uns passt es nicht zusammen, gleichzeitig Staatshilfen in Anspruch zu nehmen und Dividende zu zahlen.

Ihr Hinweis, dass die nötige Umstellung auch sonst keinem Stahlunternehmen ohne staatliche Hilfen gelingt, ist ja richtig. Sie dürfen aber auch nicht verschweigen, dass Thyssenkrupp ganz besonders durch der vielen Management-Fehler der Vergangenheit erst recht nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften die nötigen Investitionen zu stemmen. Bei gleichzeitigen Dividendenzahlungen zeigen Sie vielmehr, dass Sie selbst nicht hinreichend investieren und sich auf die gesellschaftliche Unterstützung verlassen. Diese wird dann aber wegbrechen, wenn Sie ihre Gewinne weiter privatisieren, gleichzeitig ihre Investitionslücken aber vergesellschaften.

Herr Russwurm, wenn es sich bei der Dekarbonisierung insbesondere des Stahlgeschäfts nach Ihren Worten um eine „Herkulesaufgabe“ handelt, dann erwarten wir auch, dass Sie entsprechend handeln und kurzfristige Gewinne auch vollständig in die Dekarbonisierung investiert werden.

Klimaziele

Insgesamt fehlen uns für die von Ihnen deklarierte „Herkulesaufgabe“ Dekarbonierung auch entsprechend ambitionierte Umbaupläne samt einem stetigen CO2-Reduktionspfad. Insbesondere für das Stahlgeschäft fehlt ein konkreter, stetiger Kohleausstiegsplan. Können Sie hier nennen, in welchen Schritten und mit welchen Zwischenzielen Sie aus der Kohlenutzung aussteigen werden?

Steigende CO2-Preise könnten die fossile Stahlproduktion schon bald unrentabel machen. Inwiefern haben Sie dazu direkt oder indirekt über Verbände politischen Einfluss genommen, um einen höheren CO2-Preis zu verhindern?

Im Geschäftsbericht fehlen erneut Zahlen zu der Entwicklung der klimaschädlichen Emissionen Ihrer Wertschöpfungskette (Scope 3). Wann werden Sie endlich vollständige Daten auch zu Scope 3 auch in ihrem Geschäftsberichten darstellen?

Scope-3-Emissionen wollen Sie nur um magere 16 Prozent bis 2030 reduzieren. Wie wollen Sie hier eine Reduktion Richtung Null nach 2030 erreichen? Mit welchen Maßnahmen?

Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, Lieferkettengesetz und Ersatz für Rohstoffe aus Russland

Wir begrüßen, dass Sie zum Inkrafttreten des deutschen Lieferkettengesetzes eine Grundsatzerklärung zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten veröffentlicht haben.

Wir erwarten nun, dass Sie nicht bei diesem Schritt stehen bleiben und selbstständig aktiv werden, um präventiv menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten, vor allem den Rohstofflieferketten, zu minimieren. Dazu gehört es, dass Sie selbst aktiv werden und diese Arbeit nicht an externe Dienstleister und Audits outsourcen.

Laut Ihrer Stellungnahme zu unseren Gegenanträgen informieren Sie sich nun intensiv bei Ihren Eisenerz- und Kohlelieferanten über deren Abbau- und Aufbereitungsmethoden. Werden Sie auch öffentlich mitteilen, wenn Sie Missstände entdecken und wie Sie darauf reagieren?

Aus welchen Ländern und von welchen Unternehmen haben Sie Sie in den letzten drei Geschäftsjahren Kohle und Eisenerz in welchem Umfang bezogen?

Ihre Stahlsparte hatte bisher auch Kohle- und Erzprodukte zur Stahlerzeugung aus Russland bezogen. Angesichts des brutalen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wollten Sie alternative Bezugsquellen prüfen. Ist dies nun abgeschlossen oder beziehen Sie aktuell noch Eisenerz aus Russland? Falls ja, von welchen Unternehmen in welchem Umfang? Falls ja, wie begründen Sie dies?

Welchen Umfang hatten bisher die aus Russland bezogenen Kohle- und Erzprodukte?

Aus welchen anderen Ländern und von welchen Unternehmen beziehen Sie nun Kohle und Eisenerz?

Fordern Sie von Ihren Kohlelieferanten sozialverträgliche Kohleausstiegspläne ein? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, mit wem genau sind Sie Kontakt mit welchen Forderungen?

Inwiefern haben Sie direkt oder indirekt über Verbände politischen Einfluss genommen, um das EU-Lieferkettengesetz abzuschwächen?

Herr Russwurm, Sie sind auch Präsident des BDI. Ihr Verband hat vehement versucht, das Lieferkettengesetz abzuschwächen. Der BDI tut dies auch jetzt beim geplanten EU-Lieferkettengesetz. Es geht Ihnen vor allem darum, die Sorgfaltspflichten auf direkte Zulieferer zu beschränken. Die Folge: Vor allem Unternehmen wie Thyssenkrupp stehen nun im Fokus, die hautsächlich solche direkten Lieferketten haben, deutlich mehr als beispielsweise die Autoindustrie oder der Finanzsektor, der aber über Kreditvergabe nicht weniger Einfluss und Verantwortung hat.  Als Verantwortlicher für Thyssenkrupp müssen Sie doch erkennen, dass dies zum Nachteil von Thyssenkrupp ist, wenn andere Sektoren nicht genauso in die Pflicht genommen werden. Nur zusammen lässt sich Druck aufbauen, damit Missstände behoben werden.

Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten gelten für die gesamte Wertschöpfungskette. Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich für ein effektives EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) ein, dass nicht nur einige wenige Unternehmen wie Thyssenkrupp in die Pflicht nimmt. Fordern Sie auch Sie die Verantwortung von Finanzsektor oder der Automobilindustrie ein!

Dazu meine entsprechende Frage: Können Sie so eine Argumentation und Position sowohl öffentlich als auch verbandsintern, z.B. beim BDI, stärker vertreten?

Umstrittene Rüstungsexporte

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben weltweit viele Staaten beschlossen, ihre Rüstungsetats zu erhöhen. So hoffen Sie auch bei Ihrer Rüstungssparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) auf neue Aufträge. Aktuelle Exportkunden sind auch Länder wie Ägypten, die Türkei oder Indien.

Die von der Bundesregierung ausgegebene „Zeitenwende“ sollten Sie nicht nutzen, um ohne Skrupel Krisenregionen und Despoten hochzurüsten. U-Boote und Fregatten für Länder wie Ägypten oder die Türkei tragen nicht dazu bei, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Im Gegenteil: Sie nehmen durch weitere Aufrüstung eine Destabilisierung von Sicherheitslagen billigend im Kauf. Daher interessiert uns: Mit welchen Ländern hat oder plant TKMS aktuell Lieferverträge zu welchen Produkten in welchem finanziellen Umfang?

So schnell scheinen Sie nun TKMS nicht veräußern zu wollen, auch wegen des „veränderten sicherheitspolitischen Umfelds“, wie Sie, Frau Merz, betonen. Bleibt TKMS also doch länger als geplant im Konzern? Rechnen Sie durch die „Zeitenwende“ auch mit einer Steigerung von Rüstungsexporten und wenn ja, um wie viel?

Sie verweisen immer und auch in Ihrer aktuellen Stellungnahme zu unseren Gegenanträgen auf die Abstimmung mit der Bundesregierung bei Ihren Exportvorhaben von TKMS. Können Sie aber auch eine eigenständige Richtlinie veröffentlichen, die klarstellt, dass Sie keine Staaten ausrüsten, die in völkerrechtswidrige Kriege verwickelt sind? Ihre bisherigen Lieferungen an Ägypten hatten wir stets wegen der Beteiligung von Ägypten an der von Saudi-Arabien geführten Allianz im Jemen-Krieg kritisiert.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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