Aufgrund des heute wegen der Sturmschäden eingestellten Bahnbetriebs konnte Christian Russau die Hauptversammlung in Bochum nicht rechtzeitig erreichen. Um unseren Leser*innen den Inhalt der Rede dennoch nicht entgehen zu lassen, dokumentieren wir sie hier in voller Länge.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christian Russau, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Gehen wir nun in medias res!
Herr Hiesinger, Herr Lehner,
in Ihrem jüngsten Jahresbericht schreiben Sie zum Verkauf des brasilianischen Stahlwerks TKCSA: „Wir konnten mit dem Closing im September 2017 nicht nur das verlustreiche Amerika-Kapitel von Stahl endgültig schließen, sondern dem Geschäft und seinen Mitarbeitern auch eine tragfähige Zukunftsperspektive eröffnen.“ (S.4)
Nun, „eine tragfähige Zukunftsperspektive“ würden sich auch die 5.763 Fischerinnen und Fischer sowie die Hunderten von Anwohnerinnen und Anwohner für sich erhoffen. Die Fischer, deren Fänge um bis zu 80% zurückgegangen sind – setzen wir zum Status Quo den Vergleichszeitpunkt vor Baubeginn 2006 an. Die Anwohnerinnen und Anwohner, die unter dem Stahlwerkstaub leiden. So sieht der in den Haushalten von den Bewohner*innen eingesammelte Stahlwerksstaub aus, wenn man ihn angemessen verpackt.
Erinnern wir uns:
In dem Stahlwerkstaub findet sich nicht, wie von Thyssenkrupp wiederholt behauptet wurde, „nur Graphit“, sondern auch: „Zink, Silizium, Natrium, Mangan, Potassium, Kalzium, Aluminium, Vanadium, Titan, Schwefel, Phosphor, Nickel, Magnesium, Kupfer, Chrom, Kadmium, Blei.“ Diese Daten entstammen der Analyse des Landesumweltministerium Secretaria de Estado do Ambiente (SEA), das 2012 die Datenanalyse des Stahlwerkstaubs vorgenommen hatte. Das SEA bestätigte zudem, dass das ausgestoßene Pulver toxisch ist und dass das Pulver Asthma, Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Missbildungen und vorzeitiges Ableben bewirken könnte. Der SEA-Bericht führte weiter aus, dass im Umfeld der Firma „ein Anstieg zu verzeichnen ist an Beschwerden in Bezug auf Atemwegserkrankungen (Asthma, Bronchitis, Lungenerkrankungen), in Bezug auf Hauterkrankungen (Ekzeme, Dermatitis und Dermatosen), auf Augenerkrankungen (Bindehautentzündungen) sowie auf Erschöpfungszustände, Stress sowie Verschärfung „bei Fällen von Bluthochdrucks oder auch Diabetes‘ infolge des Ausgesetztseins des Staubpartikelmaterials“.
Herr Hiesinger. Erinnern Sie sich noch an die Hauptversammlung von 2014? Da sagten Sie: „Das Stahlwerk TKCSA in Rio de Janeiro lastet bleischwer auf dem Konzern.“ Mit Blei kennt sich ja Thyssenkrupp bestens aus. Aber auf wem das Stahlwerk in Rio de Janeiro „bleischwer“ lastet, – das sind die Anwohnerinnen und Anwohner des Stahlwerks.
Denn, Sie konnten zwar „im September 2017 Vollzug vermelden“ – den Verkauf des Stahlwerks an Ternium – , aber das Stahlwerk hat noch immer nicht die 134 behördlich dem Werk auferlegten Produktions-Anpassungsmaßnahmen umsetzen können. Die waren Ihnen ja bereits 2012 auferlegt worden im Rahmen eines so genannten „Termo de Ajuste de Conduta“ – kurz TAC-Vertrag.
Diese TAC-Verträge erfreuen sich bei brasilianischen Behörden seit 2008 großer Beliebtheit. Wo wegen Umweltbestimmungen einem industriellen Großprojekt so schnell keine endgültige Betriebsgenehmigung erteilt werden kann, werden die Bau- und Umweltgenehmigungen für Großprojekte durch diese TAC-Verträge dahingehend flexibilisiert, dass die Firmen bei Nichteinhaltung von Auflagen und Verstreichen von Fristen mit den Landesbehörden die Umsetzung der Auflagen zeitlich strecken können. Vom Typus her Fast-Food-Umweltgenehmigungen, schimpfen die KritikerInnen in Brasilien das.
Aber in der gesetzlichen Maximalfrist von zweimal zwei Jahren, die so ein TAC-Konstrukt juristisch maximal zulässig ist, haben Sie es dennoch nicht geschafft, die behördlichen Auflagen umzusetzen. Ist dies Ihre vielbeschworene Ingenieurskunst bei Thyssenkrupp?
Lassen wir das doch nochmal Revue passieren:
21. Januar 2011: Zitat Thyssenkrupp: Wir sind „fest davon überzeugt, alle Voraussetzungen erfüllt zu haben, so dass wir im Februar 2011 die vorläufige, und dann vielleicht im März/April 2011 die endgültige Betriebsgenehmigung für unser Stahlwerk in Rio erhalten werden, wenn die letzten Nachbesserungen erfolgt sind.“
Mai 2011, Zitat Thyssenkrupp in der Financial Times Deutschland: „Bis zur Erteilung der definitiven Betriebsgenehmigung können noch bis zu eineinhalb Jahre vergehen“. Dies hätte also dann so gegen Ende 2012 geschehen sollen.
2012 kam dann der erste von den Behörden Ihnen auferlegte TAC. Mit 134 Maßnahmen. Werden wir umsetzen – so Thyssenkrupps Devise. Doch das zog sich.
2013 hieß es von Seiten Thyssenkrupps, man habe in Rio große Fortschritte erzielt, die Erteilung der Betriebsgenehmigung sei nur noch eine Frage von Monaten.
Doch im März 2014 musste der TAC-Vertrag noch einmal um zwei Jahre verlängert werden.
2015 hieß es dann wiederum, Thyssenkrupp würde Fortschritte machen und sei sich sicher, die Auflagen zeitgemäß umzusetzen. Ich kann die Aktionärsversammlungen schon kaum mehr zählen, auf denen Sie mir antworteten, ihr Stahlwerk TKCSA würde Fortschritte bei der Umsetzung der 134 Auflagen erzielen (70%, dann 75%, dann hieß es 80% hätten Sie „schon“ [sic!] umgesetzt usw.) und Thyssenkrupp sei sich sicher, gegen Ende des gültigen TAC-Vertrags die endgültige Betriebsgenehmigung von den Behörden zu erhalten.
Daraus wurde aber auch bis 2016 nichts. Denn im April 2016 lief die Hilfskonstruktion der Ausnahmebetriebsgenehmigung über den „TAC“ aus. Und die konnte qua Gesetz nicht mehr verlängert werden, da die Maximaldauer von 48 Monaten ausgeschöpft worden war. Da behalfen sich die Behörden mit einer provisorischen Betriebsumweltgenehmigung: der sogenannten Autorização Ambiental de Funcionamento (AAF).
Aus „TAC“ wurde „AAF“.
Die darf aber nur für maximal 90 Tage erteilt werden.
Ende Juli 2016 lief die 90-Tage-Gnadenfrist aus, aber das Umweltamt erteilte nochmal eine 60 Tage-Frist. Ausnahmsweise. Und nur mit viel Augen Zudrücken. Wollte ja niemand diese ohnehin schon schlechte Publicity für so ein „Vorzeigeprojekt“ noch weiter verschlimmern..
Nur doof, dass so ein AAF laut Gesetz nicht nochmal wiederholt werden kann. Also musste eine Entscheidung her.
Im September 2016 erteilte das Umweltkontrollamt CECA – trotz aller bis heute nicht komplett erfüllten Auflagen – dem TKCSA-Stahlwerk die Betriebsgenehmigung. Das Amt erklärte, sollte sich binnen der Gültigkeit der nun für zunächst fünf Jahre geltenden Genehmigung eine gegen Gesetzesauflagen verstoßende Unregelmäßigkeit einstellen, werde die Genehmigung entzogen. Ein Richterentscheid, der dies verbot, war kurz zuvor wieder aufgehoben worden.
Damit war der Weg dann frei für den Verkauf an Ternium.
Ist damit Thyssenkrupp – verlustreich zwar – aus dem Schneider?
Na, was lese ich da im aktuellen Jahresbericht? In Ihrem Geschäftsbericht schreiben Sie auf Seite 112: „Im konkreten Fall der derzeitigen verfassungsrechtlichen Überprüfung von in der Vergangenheit gewährten steuerlichen Vergünstigungen für thyssenkrupp CSA haben wir mit dem Verkauf des brasilianischen Stahlwerkes an Ternium im Falle einer negativen Entscheidung der Gerichte eine Risikoteilung mit dem Erwerber vereinbart.“
Ah! Interessant! Dabei geht es um die Steuervergünstigungen in Höhe von R$ 683 Millionen Reais, die der (heute Pleite)-Bundesstaat Rio de Janeiro Thyssenkrupp gewährte. Zusätzlich gab es ja auch noch einen zinsgünstigen öffentlichen Kredit des brasilianischen BNDES-Bank in Höhe von R$ 2,3 Milliarden Reais.
Erinnern wir uns: Wer hatte diese Steuernachlässe der Firma gewährt? War das nicht der Gleiche, der Weihnachten 2010 dem TKCSA-Stahlwerk in Rio für alle völlig überraschend diese Sondergenehmigung zum Hochfahren des zweiten Hochofens gegeben hatte? Der Gleiche, der mehrmals per Dekret dem Stahlwerk die Genehmigung erteilen ließ, damit es trotz Embargos des Umweltamt weiterlaufen durfte? Ja, genau.
Das war der damalige Gouverneur von Rio de Janeiro, Sérgio Cabral. Nun ja, über diesen Sérgio Cabral muss man nicht viel sagen: Er sitzt halt im Knast.
Verurteilt zu insgesamt 87 Jahren Haft wegen Korruption und Schmiergeldern, krimineller Bandenbildung, Veruntreuung im Amt.
Dabei sind noch gar nicht alle gegen ihn anhängigen Prozesse abgeschlossen. Insgesamt hat er 20 Prozesse am Hals.
Schauen Sie mal, hier ein Photo von Sérgio Cabral (und einigen anderen: erkennen Sie wen?):
Ich habe noch ein Photo von ihm. Das zeigt ihn jetzt im Knast.
Dieser Herr hat Thyssenkrupp die Steuervergünstigungen in Höhe von R$ 683 Millionen Reais bewilligt. Aber es gibt den Rechtsprozess dagegen, den die Bundesstaatsanwaltschaft angestrengt hat. Daher die Formulierung in Ihrem diesjährigen Risikobericht: „im Falle einer negativen Entscheidung der Gerichte [ist] eine Risikoteilung mit dem Erwerber vereinbart.“
Wie im vergangenen Jahr, noch einmal fürs ordentliche Protokoll: Ich unterstelle Thyssenkrupp nicht, an Herrn Cabral Schmiergelder gezahlt zu haben.
Aber, in Ihrem Geschäftsbericht zu sagen, durch den Verkauf des Stahlwerks „ eine tragfähige Zukunftsperspektive eröffne[t zu haben]“ ist, mit Verlaub, blanker Hohn, angesichts dessen, dass das Stahlwerk weiterhin seinen schwermetallhaltigen Staub in die Umgebung emittiert.
Ceterum Censeo: Wann endlich wird gesetzlich geregelt, dass Vorstände und Aufsichtsräte der Konzerne, die solche Werke betreiben, mit ihren Familien selbst im direkten Fall-Out-Gebiet ihres Stahlwerkstaubs leben müssen? Warum trifft so etwas immer nur die anderen, die, die sich nicht wehren können, die, die arm sind, die, die von der gesellschaftlichen Teilhabe und Macht ausgeschlossen sind, die, die weit weg von den Konzernzentralen dieser Welt leben?
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.