Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,
mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von Ihnen deutlich mehr Engagement und vor allem Investitionen in den Klimaschutz und nachhaltigen Geschäftspraktiken, die nicht nur klima- sondern auch sozial gerecht sein müssen.
Herr López, Sie haben es eingangs erwähnt, wir befinden uns in sehr aufgewühlten Zeiten – nicht nur bei Thyssenkrupp. Während im Bundestag der Grundkonsens demokratischer Parteien fällt, keine Mehrheiten mit den Stimmen der rechtsradikalen AfD herbeizuführen und das Asylrecht unter Missachtung verfassungs- und menschenrechtlichen Grundlagen weiter stark eingeschränkt werden soll, können wir unsere Konzernkritik nicht losgelöst von diesen Vorgängen ausüben. Gegen Hass und Hetze, Rassismus und Nationalismus zulasten Schutzsuchender braucht es einen respektvollen Umgang, sozialen Zusammenhalt und solidarische Antworten auf die großen Krisen unserer Zeit. Mehr denn je braucht es langfristige Perspektiven statt Fokus auf kurzfristige Gewinne.
Da ist Ihr Umgang mit Ihren Beschäftigten mehr denn je politisch. Doch ausgerechnet jetzt, wo Ihre bisherigen Stärken bei Mitbestimmung und Arbeitsbedingungen wichtiger denn je sind, zeigen sich auch völlig unnötige Defizite und vermeidbare Probleme in Ihrem Umgang und Kommunikation mit Ihren Beschäftigten.
Herr López, ich kann Ihre Aussage von vorhin daher nur unterstützen als dringend nötige Selbstkritik: „Manche öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung ist unnötig und sogar schädlich – vor allem, wenn sie zu Irritationen bei Kunden oder Verunsicherung in der Belegschaft führt.“
Dividende trotz massiven Stellenabbaus und Staatshilfen
Während sich das Unternehmen in der Krise befindet, der Umsatz weiterhin sinkt, Arbeitsplätze gestrichen werden und weiterer Stellenabbau droht, Löhne in der Stahlsparte um 10 Prozent gekürzt werden soll, möchten Sie trotzdem eine Dividende ausschütten. Das passt nicht zusammen und ist aus unserer Sicht unverhältnismäßig. Herr López, hier von „nachhaltigen Dividenden“ zu sprechen, Bedarf schon einiger Fantasie. Es wundert mich daher überhaupt nicht, dass Ihre Dividendenpolitik auf Unverständnis bei Ihrer Belegschaft stößt.
Die Anpassung an sich verändernde Marktbedingungen muss auf soziale und ökologische Weise geschehen. Wenn von großen Modernisierungsdefiziten und einer Finanzierungslücke von über einer Milliarde Euro im Stahlbereich die Rede ist, müssen dringend Investitionen in die Zukunft des Konzerns getätigt werden.
Angesichts dieser Herausforderungen sollten Sie kurzfristige Gewinne für langfristige Transformationsprojekte nutzen. Daher haben wir einen entsprechenden Gegenantrag eingereicht, den ich hiermit auch formal stelle. Wir lehnen Ihren Dividendenvorschlag als zu hoch und unverhältnismäßig ab. Dazu folgende Fragen:
- Haben Sie Ihre Pläne für nötige Investitionen wegen der Dividendenauszahlung zumindest bei Ihrer Entscheidung berücksichtigt, gar ändern und kürzen müssen?
- Statt mit einem konstruktiven Plan auf von Werksschließungen betroffenen Beschäftigten zuzugehen, kommunizieren Sie erstmal nur die Zahl des Stellenabbaus. Die Betroffenen warten nun bereits seit Monaten auf konkrete Informationen. Unmut und Zukunftsängste werden so zusätzlich und auch unnötig geschürt. Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie den Stellenabbau sozial gerecht umsetzen?
- Herr López, Sie sagen, es sei lediglich Ihr Ziel, sozialverträgliche Lösungen zu finden und betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Bisher haben Sie noch keine verbindlichen Zusagen gemacht, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. Warum nicht?
- Bleibt es bei dieser bereits hohen Zahl oder werden in den nächsten Jahren noch weitere Stellen abgebaut?
Wir kritisieren jedoch nicht nur diesen Umgang mit Ihren Beschäftigten.
Arbeitsplatzsicherheit, erneuter Todesfall
Neben dem Umbau der Stahlsparte und Umgang mit den Arbeitnehmern lässt auch die Sicherheit am Arbeitsplatz in Ihrem Konzern zu wünschen übrig.
Nach dem tragischen Todesfall von Refat Süleyman, der 2022 bei der Arbeit auf dem Betriebsgelände von Thyssenkrupp in Duisburg ums Leben kam, war die Arbeitsplatzsicherheit in aller Munde. Trotzdem kann ich keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern erkennen. Sie schreiben selbst in Ihrem Geschäftsbericht, Arbeitssicherheit und Gesundheit seien stets vorrangige Themen. Trotzdem hat sich die Unfallhäufigkeit nicht verbessert. Sie haben damit Ihr selbst gestecktes Ziel verfehlt.
Am vergangenen Wochenende sind dann nochmal erschreckende Nachrichten hinzugekommen: Ein 31-Jähriger ist auf dem Werksgelände in Duisburg bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen. Wir fordern Sie auf, umgehend alles in Ihrer Macht zu tun, um den Fall aufzuklären.
Ihr „guter Wille“ in im Bereich der Arbeitsplatzsicherheit bei uns weiterhin auf Skepsis und Kritik. Deswegen möchte ich Ihnen folgende Fragen stellen
- Nennen Sie bitte die konkreten Maßnahmen, die Sie zur Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz umsetzen.
- Wie viele meldepflichtige Arbeitsunfälle hat es 2024 bei Ihren Standorten in Duisburg gegeben, wie viele im gesamten Konzern?
- Sogenannte Leiharbeiter leiden besonders oft unter schlechten Arbeitsbedingungen. Können Sie uns die Unfallhäufigkeitsrate für Arbeiter, die in Ihren Betriebs- und Arbeitsstätten tätig sind oder waren, die nicht als „eigene“ zählen, nennen? Wenn nicht, sind Unfälle in ihren Betriebs- und Arbeitsstätten von Beschäftigten wie Leiharbeitern, die nicht als „eigene“ zählen, bekannt? Wie viele?
Schlechte und gar riskante Arbeitssituationen setzen sich auch in Ihren Lieferketten fort:
Menschenrechte und Lieferketten
Laut Ihrem letzten Bericht zum Lieferkettengesetz haben Sie allein in 2023 etliche Verletzungen bei unmittelbaren Zulieferern festgestellt. Allein in Bezug auf die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren haben sie 165 Fälle registriert, 16 Fälle von Vorenthalten eines angemessenen Lohns. Ihre Abhilfemaßnahmen hätten aber nur teilweise zur Beendigung der Verletzung geführt.
Wir begrüßen ausdrücklich Ihre Transparenz und Ihr Bemühen, zeigt es uns, aber auch der Öffentlichkeit den Sinn der Berichtspflichten. Doch die Veröffentlichung einen Tag vor der Hauptversammlung ist dann doch etwas knapp. Erst gestern haben Sie Ihren LkSG-Bericht zum vergangenen Geschäftsjahr veröffentlicht. Darin berichten Sie sogar von Missachtung der Koalitionsfreiheit und Geschlechterdiskriminierung im eigenen Geschäftsbereich, immerhin sollen die Verletzungen beendet worden sein. Bei direkten Zulieferern haben Sie weiterhin Missachtung von Arbeitsschutz und Vorenthaltens eines angemessenen Lohns identifiziert. Diese Rechtsverletzungen sollen weiterhin teilweise nicht beendet worden sein. Auch schreiben Sie nun nichts mehr zu der Anzahl der Fälle, zu konkreten Zulieferern oder zumindest Regionen schweigen Sie.
- Wie ist der Stand in diesen Fällen und welche Konsequenzen und Maßnahmen haben Sie konkret mit welchen Zulieferern vereinbart?
- Wann ist die Veröffentlichung Ihres nächsten Berichts zum Lieferkettengesetz geplant? Planen Sie hier, Ihre Berichte entsprechend der neuen EU-Standards einheitlich und rechtzeitig vor der Hauptversammlung zu veröffentlichen
- Wie viele Rechtsverletzungen in Ihrem Geschäftsbereich, bei direkten und indirekten Zulieferern haben Sie im letzten Jahr registriert? Was genau ist vorgefallen und wie haben Sie reagiert?
- Habe Sie und/oder eine Ihrer Tochtergesellschaften in den zwei vergangenen Geschäftsjahren oder jetzt im laufenden Geschäftsjahr Rohstoffe von den weiter unten aufgelisteten Firmen direkt oder indirekt (über weitere Zulieferer/Verarbeitende Unternehmen) bezogen und wenn ja, welche und wie viele? Bitte auch die Namen der Minen angeben, aus denen diese Rohstoffe stammen: Grupo México, Glencore, Bahia Mineração (BAMIN), Eurasian Resources Group (ERG), Vale, BHP Billiton, Samarco, AngloAmerican, Rio Tinto.
- Bitte legen Sie ausführlich dar, wie TK und/oder Ihre Tochtergesellschaften in den zwei vergangenen Geschäftsjahren oder jetzt im laufenden Geschäftsjahr Ihre menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in Bezug auf die weiter unten aufgelisteten Firmen durchführt und erfüllt. Bitte beschreiben Sie Ihre entsprechenden Prüfungen und ggf. die getroffenen Maßnahmen so konkret und anschaulich wie möglich: Grupo México, Glencore, Bahia Mineração (BAMIN), Eurasian Resources Group (ERG), Vale, BHP Billiton, Samarco, AngloAmerican, Rio Tinto
Sie sehen: Ich müsste all diese Fragen nicht stellen, wenn Sie Ihre Nachhaltigkeitsberichte transparenter und vor allem rechtzeitig veröffentlichen würden. Herr Russwurm, hier sehen Sie direkt einen Vorteil der EU-Standards zur Bändigung des Chaos und der Willkür bei den Unternehmensberichten.
Das führt mich zum Thema Ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung allgemein.
Berichterstattung
Laut Ihrem Geschäftsbericht für das vergangene Jahr ist nur 56 Prozent Ihrer Umsatzerlöse EU-taxonomiefähige Aktivitäten, bei Ihren Betriebsausgaben sind es 85 Prozent, bei Ihren Investitionen 72 Prozent. Davon sind jeweils nur 1 bzw. 9 Prozent taxonomiekonform, das heißt, Sie leisten kaum einen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der Umweltziele der EU-Taxonomie.
- Haben Sie vor, den Anteil der taxonomiefähigen Bereiche zu steigern, und wenn ja, bitte nennen Sie Zielangaben je für Umsatzerlöse, Investitionen und Betriebsausgaben. Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie diese Ziele erreichen?
- Wie hoch waren Ihre Grenzkosten (Vollkosten sind optional) im letzten, abgeschlossenen Geschäftsjahr und, sofern vorläufig verfügbar, im aktuellen Geschäftsjahr für die Finanzberichterstattung nach HGB und IFRS? Dies bezieht sich nur auf alle Kosten, die für die Konzernabschlüsse anfallen.
- Wie hoch waren Ihre Grenzkosten im letzten, abgeschlossenen Geschäftsjahr 2023 und, sofern vorläufig verfügbar, im aktuellen Geschäftsjahr für die Berichterstattung nach den ESG-Berichtsstandards der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) oder, wenn die ESRS nicht genutzt wurden, dann einem anderen verwendeten Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (z. B. GRI, ISSB)?
- Wie hoch waren Ihre gesamten finanziellen Aufwendungen für Werbung im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr und, sofern vorläufig verfügbar, im aktuellen Geschäftsjahr?
Eine fundierte Berichterstattung über Ihre Maßnahmen und Fortschritte bei der Erreichung Ihrer Nachhaltigkeitsziele ist nicht nur für uns besonders wichtig, sondern auch für die Unternehmensführung, Investoren, Medien und die Öffentlichkeit. Dies soll keine bürokratische Last sein, aber ein wenig mehr Transparenz und konkrete Maßnahmen würden hier schon sehr helfen, um genau sehen zu können, dass Sie ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auch ausreichend nachkommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.