„Unwillen, ernsthaft die Bedingungen von Leih- und Zeitarbeiter*innen zu prüfen“: Rede von Philipp Lottholz, Stolipinovo in Europa e.V.


Guten Tag,

mein Name ist Philipp Lottholz, ich bin Vorstandsmitglied des Vereins Stolipinovo in Europa e.V., eines Vereins zur Unterstützung osteuropäischer Migrant*innen in Duisburg und Umgebung, und ich freue mich heute im Auftrag des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Hierbei geht es um ein Thema, dessen gesellschaftlicher Bedeutung innerhalb des Unternehmens noch nicht ausreichend Rechnung getragen wird, zumindest was die bisherigen Entwicklungen und Kommunikation dazu betrifft.

Im Namen des Dachverbandes der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, und der Community osteuropäischer Arbeitsmigrant*innen fordern wir eine konsequente Verantwortungsübernahme für die Ausbeutung, schlechten Arbeitsbedingungen und Gefahren, denen Arbeiter bei Subunternehmern bei ThyssenKrupp Steel offensichtlich ausgesetzt sind; eine Situation die in der jüngeren öffentlichen Berichterstattung belegt wurde.

Der Fall, der die Dringlichkeit dieses Anliegens unterstreicht, ist der des 26-jährigen türkischstämmigen bulgarischen Staatsbürgers Refat Süleyman. Der Leichnam von Süleyman wurde am 17.10.2022 nach einer dreitägigen polizeilichen Durchsuchung auf dem Gelände des ThyssenKrupp Steel-Werks in Duisburg Bruckhausen gefunden. Süleyman war drei Wochen zuvor von einem Subunternehmen als Reinigungskraft eingestellt worden und wurde am frühen Morgen des 14.10.2022 von seinem Arbeitgeber, der Eleman GmbH, an ein anderes Subunternehmen ausgeliehen. Wenig später verschwand er angeblich spurlos, und seine Leiche wurde erst nach der dreitätigen Suche in einem Schlammbecken gefunden. 

Die genauen Umstände von Süleymans Tod sind bis heute ungeklärt.

In jedem Fall wirft der Fall aber große Fragen und Bedenken hinsichtlich des Arbeitsschutzes und der Sicherheitsvorkehrungen bei ThyssenKrupp Steel, und hinsichtlich grundlegender Arbeitsrechte und Arbeitsstandards bei seinen Subunternehmen auf. 

Zu dieser Lage haben Mitglieder unseres Vereines Stolipinovo in Europa Interviews und Gespräche mit Arbeitern der Eleman GmbH, wo Refat Süleyman beschäftigt war, sowie des Oberhausener Personalservice durchgeführt und die Recherche zu diesem Thema auch veröffentlicht in einem Artikel mit dem einfachen Namen: „Warum starb Refat Süleyman?“

Dort berichten wir, dass die Auslagerung von Reinigung und anderen Prozessen an Subunternehmen bei ThyssenKrupp-Steel die Beschäftigung von tausenden Reinigungskräften im niedrigen fünfstelligen Bereich bedeutet.

Die Beschäftigung in Subunternehmen geht einher mit

1) ausbeuterischen Arbeitsbedingungen;

2) mangelhafter Überwachung von Arbeitsstandards, v.a. da Verträge und Sicherheitsunterweisungen nur auf Deutsch ausgestellt werden und nach Aussagen der Arbeiter nicht in ihrer jeweiligen Sprache angeboten werden, während sie jedoch kein Deutsch sprechen;

3) und einer organisierten Verantwortungslosigkeit, deren Zeugen wir in letzten Wochen und Monaten geworden sind.

Zum ersten Punkt: Arbeitsmigrant*innen in Duisburg bekommen von Leiharbeitsfirmen oft weniger als halb so viel Lohn als bei einer direkten Beschäftigung. Sie werden oft auf Teilzeitbasis beschäftigt, was heißt, dass sie mit Hilfe vom Jobcenter aufstocken müssen, um ihren Lebensunterhalt zu fristen. Gearbeitet wird dann oft trotzdem wie in einem Vollzeitjob, Überstunden gehen aufs Zeitkonto, von wo sie in den meisten Fällen nicht ausbezahlt werden – auch nicht, wenn sie über dem gesetzlichen Maximum liegen.  

Hinzu kommen Abzüge für Arbeitskleidung, die den Arbeitern nicht erklärt werden, wie auch das Vorenthalten von Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und bei Urlaubstagen. Außerdem verhindern Subunternehmen die Direktanstellung nach Ablauf der Sechsmonatefrist, in dem sie Verträge auf drei oder maximal sechs Monate angelegt werden und Arbeiter bei Ablauf dieser Fristen zwischen den beiden Unternehmen hin- und hergeschoben werden.

Zweitens: Zur erwähnten mangelhaften Einweisung in Arbeitsabläufe und Sicherheitsstandards kommt ein weit verbreitetes Wegschauen bei vielen Vorarbeitern der Subunternehmen, wenn es um Schutzkleidung und Sicherheitsvorkehrungen geht.

Somit führen viele Arbeiter Reinigungsarbeiten in großer Höhe oder in Kaminschächten ohne die nötigen Schutzvorkehrungen aus, da Ihnen die entsprechende Einweisung fehlt da ihnen die Einweisung dazu fehlt und sie hoffen, solche Arbeiten in Zukunft vermeiden zu können.

Laut Aussagen der Arbeiter ist es bei solchen Arbeiten zu zahlreichen Stürzen, Verletzungen und Verbrennungen gekommen, die oft nicht an TKS gemeldet werden, sondern innerhalb des Subunternehmen abgewickelt werden.

Auch als Außenstehende können wir vom Verein Stolipinovo in Europa uns nicht vorstellen, dass diese Zustände, auch nur die Möglichkeit vom Bestehen dieser Zustände, Sie, die Aktionäre, Herrn Professor Russwurm, den Vorstand sowie den Aufsichtsrat nicht bekümmern würden.  

In einer ersten Reaktion auf eine Pressemitteilung des Dachverbandes der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre hat ThyssenKrupp mitgeteilt, „Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz“ [hätten] „höchste Priorität“. Zitat: „Für Partnerfirmen und Dritte gelten dazu dieselben Standards wie für unsere eigenen Beschäftigten. Danach erwarten wir von Lieferanten und deren Subunternehmern den Aufbau und die Anwendung eines angemessenen Arbeitsschutzmanagements zur bestmöglichen Vorbeugung von Unfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen.” 

Allerdings wirft diese Reaktion eher nur noch mehr Fragen auf, da in der ThyssenKrupp Belegschaft ebenfalls Fälle von Unfällen und Tod bei der Arbeit bekannt sind, z.B. nach unseren Informationen der Tod von mehreren Lokführern im Lauf des Jahres 2022 oder die schwere Verletzung eines Elektrikers, der im November von einer automatischen Anlage in einen Ofen gedrückt und mit lebensgefährlichen Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, und nach unseren Informationen inzwischen verstorben ist.

Auch die erwähnten „intensiven Überprüfung der Betriebsanlagen, in denen Refat Süleyman tätig war“ und das „Andauern der behördlichen Ermittlungen” sind keine überzeugende Reaktion zu den aktuellen Zuständen.   

Diese Reaktionen und Erklärungen stellen, wenn dann nur ein Minimum und Allgemeinplätze dar, die von einem Unwillen zeugen, sich ernsthaft den Bedingungen von Leih- und Zeitarbeiter*innenn bei TKS anzunehmen und das Einhalten von Mindeststandards zu garantieren.

Der Fall Refat Süleyman zeigt, dass sich der Vorstand und das Unternehmen insgesamt nicht hinter internen Abläufen verstecken können, sondern hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Versuche sie zu verbessern weiterhin Belege schuldig bleiben.

Mit diesen Beobachtungen und Forderungen sind wir nicht allein, sondern haben bereits die Unterstützung von über 2000 Menschen hinter uns, und zwar in Form einer Petition, die die “Konsequente Aufklärung von Refat Süleymans Tod, Abschaffung von Subunternehmen bei TKS” fordert. 

Vor diesem Hintergrund haben wir folgende Fragen, die ThyssenKrupp immer noch nicht beantwortet hat, zumindest ganz sicher nicht durch die Allgemeinplätze in bisherigen Stellungnahmen:

Erstens: Welche Konsequenzen werden aus diesem und weiteren Vorfällen hinsichtlich des Arbeitsschutzes bei ThyssenKrupp Steel gezogen, insbesondere hinsichtlich der Sprachbarrieren, die es für viele ausländische Leiharbeiter aufgrund deren fehlender Deutschkenntnisse gibt und die eine Einweisung in der jeweiligen Muttersprache notwendig machen?

Welche Unterstützung und Kommunikation bietet ThyssenKrupp Steel den Familien und Hinterbliebenen von verletzten oder verstorbenen Leiharbeitern sowie direkten Angestellten von ThyssenKrupp Steel?

Zweitens ist die Frage: Werden Betriebsunfälle betriebsintern und auch zusammen mit den betreffenden Subunternehmen aufgearbeitet und welche adäquaten Konsequenzen werden gezogen?

Wie kann es eigentlich sein, dass das Geflecht aus Eleman GmbH und Oberhausener Personalservice überhaupt noch als Subunternehmen von ThyssenKrupp Steel tätig sind, angesichts der systematischen Arbeitsrechtverletzungen, von denen aktuelle und ehemalige Beschäftigte dort berichten?

Ist das bisher etablierte Ampelsystem zur Prüfung der Zusammenarbeit mit Subunternehmen überhaupt adäquat zur Erhaltung von gesetzlichen Mindeststandards, wenn die obigen Zustände weithin bekannt sind, aber anscheinend innerhalb des Unternehmens nicht wahrgenommen werden, auch nicht von den Vertreter*innen der IG Metall, die hierüber eigentlich höchst bestürzt und für schnelle Veränderung engagiert sein müssen?

Und drittens, was wird konkret getan – ich meine also Abläufe und Maßnahmen, die auch für Aktionär*innen und Außenstehende nachvollziehbar sind –  um der weithin berichteten Ausbeutung und dem Missbrauch von Arbeitskräften, die unsichere und von Angst geprägte Arbeitsverhältnisse schaffen und somit das Risiko von Unfällen erhöhen, Einhalt zu gebieten und die vollständige Bezahlung von Leiharbeitern inkl. Überstunden und ohne Abzüge für Arbeitskleidung, sowie Fortzahlung bei Urlaub und im Krankheitsfall zu garantieren?

Nehmen Sie, sehr geehrter Herr Professor Russwurm und sehr geehrter Vorstand, diese Fragen bitte ernst und gehen Sie ernsthaft und transparent darauf ein, denn es ist nicht nur in Ihrem, sondern im Interesse der Aktionärinnen und Aktionäre und vor allem der Menschen, die als Arbeitnehmer*innen und als Standortgemeinden mit den Folgen Ihres Wirtschaftens leben müssen. 

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