Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,
ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von der Traton SE deutlich effektivere Maßnahmen gegen die Klimakrise sowie für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten ein.
Wir werden Sie, den Vorstand nicht entlasten. Sie kommen weiterhin nicht hinreichend Ihrer Verantwortung nach, wirksame Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz umzusetzen.
Zu Ihrer Klimabilanz:
Ich wollte mir Ihre Klimabilanz in Ihrem Geschäftsbericht ansehen, doch finden sich dazu nur Angaben, wie wichtig Sie die Reduktion von Treibhausgasen und Ihre Dekarbonisierungsmaßnahmen finden. Doch zu konkreten Zahlen der Emissionen Ihrer Marken bzw. Fahrzeige: ein lautes Schweigen.
- Wieso berichten Sie ausführlich zu Auftragseingang, Absatz und Umsatz bei Ihren Lkw und Bussen zu berichten, schaffen es aber nicht, deren Emissionen und entsprechende Veränderungen der letzten Jahre darzustellen? Wollen Sie hier bewusst den massiven Klimaschaden, den Ihre Verbrenner-Fahrzeuge verursachen, bewusst verschweigen?
Dabei müssten die Zahlen für MAN, Scania und Co. doch vorliegen. Allein bei MAN, die immerhin ihre Klimabilanz transparent machen, sind die Emissionen im Scope 3 durch die Nutzung Ihrer im jeweiligen Geschäftsjahr verkauften Fahrzeuge massiv angestiegen: 2023 gegenüber 2022 um fast 30 Prozent (!) auf über 114 Millionen Tonnen CO2e. Da bewegen wir uns auf dem klimaschädlichen Niveau ganzer Industriestaaten.
- Wie hoch sind die Emissionen im Scope 3, Nutzung verkaufter Produkte, aller ihrer Marken in 2023 gewesen und wie haben sich diese prozentual gegenüber 2022 und 2019 verändert?
- Messen Sie auch den Realverbrauch Ihrer mittleren und schweren Lkw und Busse, wie dies Pkw-Hersteller tun und an die EU-Kommission melden müssen? Wenn ja, wie hoch ist der Unterschied gegenüber den offiziellen WLTP-Werten?
- Was ist der Unterschied bei Ihren ab 2021 verkauften leichten Nutzfahrzeuge, deren Realverbrauch Sie ja ermitteln müssen, zwischen den realen Verbräuchen, die Sie ermitteln, und den WLTP-Werten?
- Legen Sie die Realverbräuche Ihrer Klimabilanz zugrunde? Wenn nicht, warum nicht?
- Haben Sie hier konkrete Pläne, wie Sie die realen Verbrauchswerte mit in Ihre öffentlichen Verbrauchsangaben und in Ihre Klimabilanz mit aufzunehmen? Wenn nicht, aus welchen Gründen?
Warum ich hier so genau nachfrage, hat einen konkreten Hintergrund, den Sie schon in Ihrem Geschäftsbericht angedeutet hatten und den Sie, Herr Levin, auch in Ihrer Rede erwähnt haben:
Im April 2024 hat das EU-Parlament nun endgültig strengere Klimaziele auch für Lkw beschlossen. Das Gesetz sieht dazu eine schrittweise Reduktion der CO2-Emissionen vor: Sie müssen nun die durchschnittlichen Emissionen neuer Lkw im Jahr 2030 um 45 Prozent, 2035 um 65 Prozent und 2040 um 90 Prozent gegenüber 2019 senken. Neue Busse müssen bis 2030 zu 90 Prozent emissionsfrei sein, bis 2035 dann zu 100 Prozent.
Herr Levin, Sie haben zwar gesagt, dass Sie „voll hinter den Bemühungen der EU, die Emissionen im Straßengüterverkehr drastisch zu senken“ stehen. Doch ist mir weiter unklar, ob und inwieweit Sie hier wirklich gut aufgestellt sind, daher folgende Fragen:
- Sind Ihre bisherigen Dekarbonisierungsmaßnahmen und Klimaschutzpläne mit diesen neuen EU-Vorgaben kompatibel? Wenn nicht, welche konkreten Anpassungen planen Sie nun?
- Was sind Ihre Schlussfolgerung bezüglich des von Ihnen geplanten Nutzung von Wasserstoff, Biokraftstoffe und E-Fuels?
- Das Gesetz verpflichtet die Europäische Kommission außerdem, sich mit synthetischen Kraftstoffen für Lkw zu befassen. Wie ist dazu Ihre aktuelle Position und mit welchem Anteil von synthetischen Kraftstoffen planen Sie für Ihre Produktion?
- Planen Sie überhaupt, die gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten bei Ihren E-Fuels-Projekten klimaneutral zu stellen? Wenn ja, welche Maßnahmen gehören dazu und welche genau? Gehören Offsetting, CCS oder andere höchst fragwürdige Maßnahmen dazu?
- Inwiefern bewerten Sie synthetischen Kraftstoffe, Biokraftstoffe und E-Fuels hinsichtlich Effizienz und Kosten für Sie und Ihre Kundschaft und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für Ihre Produktionsvorhaben und Klimaschutzmaßnahmen?
- Mit welchen Preisen und Preisentwicklung pro Liter von relevanten E-Fuels rechnen Sie in den nächsten Jahren?
- Haben Sie hierzu durch Lobbyaktivitäten aktiv auf die EU-Gesetzgebung eingewirkt und wenn ja, mit welchem Ziel? Tun Sie dies auch weiterhin und wenn ja, wie genau?
- Auch in den USA stehen neue Emissionsgrenzwerte und entsprechende Vorgaben an. Wie sind Sie hierauf vorbereitet und welche Änderungen gegenüber Ihrer bisherigen Produktion für die USA nehmen Sie nun vor?
Ob batterieelektrisch, hybrid, mit E-Fuels oder konventionell angetrieben: Eine Antriebs- oder Kraftstoffwende ist noch lange keine Ressourcenwende. Herr Levin, Sie haben zum Thema Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft gesagt: „Ab 2030 sollen in Scania-Fahrzeuge zu 100 Prozent Batterien, Stahl, Aluminium und Gusseisen verbaut werden, die aus umweltfreundlichen Verfahren stammen. Entsprechende Lieferantenabkommen stehen.“ Dies aber nur in Bezug auf Scania.
- Was verstehen Sie hier unter „umweltfreundlich“ genau?
- Wieso ist dies nur bei Scania der Fall, wie sieht es bei den anderen Marken aus?
- Planen auch Sie wie Volkswagen, sich direkt an Bergbauprojekten zu beteiligen, beteiligen Sie sich an den Rohstoff-Sicherungsplänen von Volkswagen oder machen Sie dies separat mit einer eigenen Strategie? Wenn ja, wie sieht diese aus und wie unterscheidet sich diese von Volkswagen?
Ich muss Sie auch Fragen zum Thema Menschenrechte stellen, zuerst zu Ihrer historischen Verantwortung:
Wir fordern Sie dazu auf, endlich die Verstrickung von Scania in die Verbrechen der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) historisch aufzuarbeiten und sich zu seiner Verantwortung gegenüber der brasilianischen Gesellschaft zu bekennen und um Entschuldigung zu bitten.
Die heutige Traton-Tochter Scania war mutmaßlich ebenso wie Volkswagen do Brasil in die Verbrechen der brasilianischen Militärdiktatur verstrickt (siehe u.a. https://brasil.elpais.com/brasil/2014/09/08/politica/1410204895_124898.html ) Die brasilianische Tageszeitung Folha de São Paulo (siehe https://www1.folha.uol.com.br/mercado/2023/06/montadoras-criaram-lista-suja-de-funcionarios-na-ditadura-mostram-documentos.shtml ) erwähnt Scania unter den multinationalen, damals in Brasilien ansässigen Firmen, deren Fabrikleitung begann, mit der Abteilung für politische und soziale Ordnung (DOPS) zusammenzuarbeiten. Dies war die Abteilung der politischen Polizei der Militärdiktatur, welche Arbeiter*innen unterdrückt und bespitzelt hat. Die Unternehmen gaben die Namen und Informationen von Gewerkschaftsaktivist*innen an die Repressionsbehörden weiter. Die Beschäftigten wurden verfolgt, bespitzelt und entlassen. Die wegen ihrer Gewerkschaftsaktivitäten oder ihrer Sympathie für die Bewegung entlassenen Beschäftigten wurden auf die so genannte „schmutzige Liste“ gesetzt, die dazu diente, die künftige Arbeitsvermittlung ihrer Mitglieder zu verhindern.“
Bereits am 25.12.1994 publizierte die Tageszeitung Jornal do Brasil über Akten der Geheimpolizei DOPS, laut denen Scania 223 Streikende im Juli 1978 entließ – um sie sofort anschließend durchleuchten zu lassen und diese Infos – zumindest in einem Fall – direkt an die Geheimpolizei weiterzugeben.
Zudem wurden im Rahmen der Untersuchungen der Nationalen Wahrheitskommission Brasiliens in den Archiven des vormaligen Geheimdienstes Brasilien (Serviço Nacional de Informações – SNI). Dokumente gefunden, die die Zusammenarbeit von Industrie und Unternehmern mit den brasilianischen Repressionsorganen nahelegen. Den als Verschlusssache deklarierten Dokumenten ist zu entnehmen, dass als Mittelsmänner für die Industrie das Forschungsinstitut Ipês (Instituto de Pesquisas e Estudos Sociais) und die Industriemobilisierungsgruppe GPMI des Industrieverbands FIESP in São Paulo (Grupo Permanente de Mobilização Industrial da Federação das Indústrias do Estado de São Paulo) fungierten. Die Industrie- und Unternehmervertreter – unter ihnen bekannte Größen wie Volkswagen und Scania – hätten zur Zeit der Militärdiktatur (1964-1985) diese zwei Institutionen finanziell gefördert, damit diese gemeinsam mit der Obersten Heeres Schule (Escola Superior de Guerra) einen „militärisch-industriellen Komplex“ gegen den Widerstand aufbauen.
Wer der Präsident dieses oben erwähnten Ipês war? Der damailige Präsident von Scania Brasil: João Baptista Leopoldo Figueiredo. Der 1910 in Santos geborene Bankier war Cousin des späteren SNI-Geheimdienstchefs und Militärpräsidenten João Baptista de Oliveira Figueiredo. Er wurde 1948 Präsident der 1916 gegründeten Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer São Paulo. Nach seinem Abschied 1967 wurde er Präsident von Saab-Scânia do Brasil und war zudem 1963 bis Mitte der 1970er Jahre Mitglied des Prüfungsrates (Conselho Fiscal) von Volkswagen do Brasil.
1961 gründete Figueiredo zusammen mit Gleichgesinnten das Forschungszentrum Ipês, das im Verdacht steht, zwischen 1961 und 1964 gezielt bei der Unternehmerschaft São Paulos Mittel für einen Umsturz gegen die Regierung von João Goulart gesammelt zu haben. Die US-amerikanische, unternehmerfreundliche Zeitschrift Fortune berichtete bereits ein halbes Jahr nach dem Militärputsch im September 1964 ausführlich unter dem Titel „When Executives turns Revolutionaries“ über die konspirative Arbeit des Ipês unter maßgeblicher Führung Figueiredos. Die Putschisten von 1964 nannten sich selbst „Revolutionäre“.
Figueiredos Verstrickungen in die Militärdiktatur gehen aber noch tiefer. So berichtet selbst die konservative Tageszeitung Globo im Jahr 2013 (siehe https://oglobo.globo.com/politica/o-elo-da-fiesp-com-porao-da-ditadura-7794152) in der historischen Rückschau über den Scania do Brasil-Präsidenten und das VW do Brasil-Prüfungsratsmitglied João Baptista Leopoldo Figueiredo, dass dieser in wichtiger Position persönlich Gelder für die Folterzentren von São Paulo gesammelt habe. Die beiden Globo-Journalisten José Casado und Chico Otavio urteilten in ihrem Bericht, es gebe zwar „keine genauen Zahlen“, aber es sei „bekannt, dass der Geldfluss für die Repression bedeutend war“. Die Journalisten nennen eine Handvoll Personen, die diese Sammlungen in der Unternehmerschaft von São Paulo organisiert hätten, darunter Figueiredo, langjähriges „Ehrenmitglied“ der AHK São Paulo, die auch vom bundesdeutschen Wirtschaftsministerium mit Geldern gefördert wird.
Bei den privaten Geldsammlungen ging es um die Finanzierung des Folterzentrums Oban, das ab 1970 DOI-CODI hieß. Dort wurden Untersuchungen von Historiker*innen zufolge 66 Menschen ermordet, 39 von diesen starben dort unter den entsetzlichen Qualen der Folter. Von weiteren 19 Menschen stammt ihr letztes Lebenszeichen, dass sie verhaftet und ins DOI-CODI verbracht wurden, von dort. Seither gelten sie als verschwunden.
Die Volkswagen AG hatte Professor Christopher Kopper beauftragt, die Verstrickungen von VW do Brasil in die Repressionsstrukturen der brasilianischen Militärdiktatur historisch aufzuarbeiten. Ende 2017 legte Christopher Kopper die Studie vor, 2020 einigte sich VW do Brasil vermittelt über die brasilianische Staatsanwaltschaft auf individuellen und kollektive Entschädigungszahlungen. Dies muss Scania nun auch umgehend in die Wege leiten. Dazu folgende Fragen:
- Wann werden Sie sich zu Ihrer Verantwortung gegenüber der brasilianischen Gesellschaft bekennen und um Entschuldigung bitten?
- Werden Sie eine unabhängige, wissenschaftlichen Untersuchung der Verstrickung von Scania in die Verbrechen der brasilianischen Militärdiktatur in die Wege leiten? Wenn ja, wie genau? Wenn nicht, aus welchen Gründen?
- Halten Sie etwa die bisherige Aufarbeitung als ausreichend? Wenn ja, aus welchen Gründen?
- Werden Sie Entschädigungszahlungen prüfen? Wenn ja, wie sähe das Verfahren dazu aus? Wenn nicht, aus welchen Gründen?
Folgende Fragen zu der Umsetzung Ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten:
- Gemäß Lieferkettengesetz hätten Sie Ihren Bericht schon längst veröffentlichen müssen. Die Volkswagen AG hat dies getan und hat auch einige Verletzungen festgestellt. VW verweist jedoch dort auf die Angaben zu Traton auf Ihren Bericht. Haben Sie diesen Bericht bereits veröffentlicht? Wenn nicht, wann und wo wird dieser veröffentlicht?
- Wie viele konkrete Missstände und Verletzungen gegen Menschenrechtsstandards haben Sie in Ihrem eigenen Geschäftsbereich, bei mittelbaren und unmittelbaren Zulieferern identifizieren können? Worum handelt es sich dabei konkret und welche Bereiche sind betroffen?
- Wie ist der aktuelle Stand zu diesen Fällen? Konnten die Missstände mittlerweile beendet werden? Wenn nicht, was sind Ihre nun veränderten Maßnahmen, um auf Ihre Zulieferer einzuwirken? Erwägen Sie auch eine Beendigung der Geschäftsbeziehung als ultima ratio oder sehen Sie Bereitschaft für Verbesserungen?
- Wie viele Anfragen, Hinweise und/oder Beschwerden haben Sie über Ihren Beschwerdemechanismus in Bezug auf umwelt- und menschenrechtliche Missstände in Ihren Lieferketten aktuell erhalten? Was waren die Inhalte, wie haben Sie reagiert? Wie sehen die Ergebnisse Ihrer Prüfungen aus? In wie vielen Fällen prüfen Sie derzeit noch?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.