„Es ist an der Zeit, dass VW sich seiner historischen Verantwortung stellt“: Rede von Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionär:innen.

Heutiger Tagesordnungspunkt ist die Verwendung des Bilanzgewinns, dazu meine Ansicht: Anstatt Unmengen an Geldern als Dividenden auszuzahlen, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass Volkswagen sich in Brasilien derzeit wieder einmal neu aufgenommenen Ermittlungen seitens der Bundesstaatsanwaltschaft gegenübersieht.

Ging es bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen der Jahre 2015 bis 2019 um die mittlerweile historisch nachgewiesene – und von VW nur halbherzig eingestandene – Kollaboration von VW do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur, als Mitarbeiter:innen von VW – mit Wissen, Kenntnis und Billigung des damaligen Managements von VW do Brasil – die eigenen VW-Mitarbeitenden ausspitzelten und diese an die Repressionsorgane der brasilianischen Militärdiktatur auslieferten, wissend, dass in den brasilianischen Gefängnissen gefoltert wird.

Damals, Ende 2019, hatte sich VW dann endlich bereit erklärt, einen gering zweistelligen Millionenbetrag an die Opfer und die Angehörigen der verfolgten und gefolterten ehemaligen VW-do-Brasil-Mitarbeitenden auszuzahlen, gleichzeitig aber versucht, aus dem Vorgang eine Einzeltäterthese zu machen: es seien sozusagen Verfehlungen „einzelner“ Mitarbeiter gewesen. Die historische Analyse hat aber gezeigt, dass das Management von VW do Brasil davon nicht nur Kenntnis hatte, sondern dieses Vorgehen wissentlich und willigte unterstützte. Von einer Einzeltäterthese kann also in diesem Fall keine Rede sein.

Nun ermittelt die brasilianische Staatsanwaltschaft erneut, wenige Tage nach der letzten VW-HV im Mai wurde dies bekannt. Die brasilianische Staatsanwaltschaft untersucht die ebenfalls aus den 1970er Jahren stammenden Vorgänge rund um die VW-Fazenda Rio Cristalino, auf der hunderte bis vielleicht Tausende von Arbeiter:innen in Schuldknechtschaft und unter sklavenarbeitsähnlichen Bedingungen gehalten. Darüber haben unter anderem ARD und die Süddeutsche Zeitung sowie alle großen brasilianischen Medien berichtet.

Bei Bekanntwerden der Aufnahme des Verfahrens seitens der brasilianischen Staatsanwaltschaft, ließ VW erklären, man nehme diese Vorwürfe sehr ernst und werde zur Klärung beitragen. Doch auf den zwei von der Staatsanwaltschaft anberaumten diesbezüglichen Treffen, Ende Mai und im September, ließen die angereisten VW-Rechtsanwälte nur erklären, sie hätten noch nichts zu sagen, sie prüften noch. Das nächste Treffen findet am 29. März in Brasilien statt.

Es ist an der Zeit, dass VW sich seiner historischen Verantwortung stellt, öffentlich um Entschuldigung bittet und Entschädigungen zahlt an die Überlebenden dieser Zwangsarbeit in Amazonien oder zumindest an die Angehörigen derselben. Und dieses öffentliche Schuldeingeständnis muss umfänglich sein, wir akzeptieren keine erneute Einzeltäterthese.

Zweites Thema: Paraguay. Die zum Schutze Indigener arbeitende NGO Survival International hat vor wenigen Tagen eine Presseerklärung herausgegeben, in der sie nachweisen, dass die italienische Firma Pasubio – eine der Zuliefererfirmen von u.a. Porsche – Leder aus Paraguay bezieht, dass aus Viehwirtschaft unter illegaler Waldrodung im Chaco, und zwar auf Land der indigenen Ayoreo, stammt. Ein Teil der Ayoreo zählt zu den letzten in Südamerika außerhalb Amazoniens in freiwilliger Isolation lebenden Indigenen.

Wie kann es sein, dass Porsche Leder aus solchen Quellen bezieht? Welche Maßnahmen hat VW und/oder Porsche und/oder jedwede andere Tochterfirma getätigt, um die kommenden EU-Regularien zu entwaldungsfreien Lieferketten und zum deutschen Lieferkettengesetz ab 1.1.2023 zu erfüllen? Erfüllen Ihre Maßnahme diese Regularien oder haben Sie sich evtl. gar Mühe gegeben und darüberhinausgehende Maßnahmen zu treffen? Wie sehen Ihre firmeninternen Regelungen und Maßnahmen dazu aus?

Ich bin es leid, jedes Jahr aufs Neue hierher zu müssen und Ihnen Ihre Defizite in Sachen Menschenrechten vorhalten zu müssen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://www.kritischeaktionaere.de/volkswagen/es-ist-an-der-zeit-dass-vw-sich-seiner-historischen-verantwortung-stellt-rede-von-christian-russau/