Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,
Ich heiße Liva Schäfer. Ich spreche heute für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und nehme Bezug auf unsere Gegenanträge, die ich hiermit formal stelle.
Ich komme heute mit einem Thema, das bereits in den vergangenen Jahren an Sie herangetragen wurde.
Es geht um die Vorwürfe einer sklavenähnlichen Arbeiter*innenausbeutung durch das VW-Tochterunternehmen VW do Brasil am Rande des Amazonasbecken in Brasilien auf der werkseigenen 140.000 Hektar großen Rinderfarm.
Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum von 1974 bis 1986, als VW entschied, in das südamerikanische Fleischgeschäft einzusteigen – auf Einladung der brasilianischen Militärdiktatur, die Steuererleichterungen anbot.
Für den Aufbau der Farm gab VW do Brasil Rodungen von insgesamt 70.000 Hektar Wald bei Arbeitsvermittlern in Auftrag. Dafür wurden Leiharbeiter eingesetzt, die sklavenähnlicher Zwangsarbeit ausgesetzt waren, hinzu kommen Vorwürfe von Menschenhandel, Folter, Mord und anderen physischen und psychischen Gewalttaten – wohl mit Wissen und Billigung des VW-Vorstands in Wolfsburg, handelte es sich doch um billige Arbeitskraft.
Die brasilianische Justiz spricht von Menschenrechtsverletzungen in hunderten von Fällen.
Doch der ehemalige Manager der Farm, der Schweizer Friedrich Brügger verwies auf die Verantwortung der Arbeitsvermittler, die mit den Rodungsarbeiten beauftragt wurden und stritt den systematischen Einsatz von Gewalt und Sklaverei ab. Von diesen Aussagen haben Sie sich als Konzern bereits distanziert.
Jedoch stehen Entschädigungszahlungen weiter aus, denn der VW-Konzern war maßgeblich an der Ausbeutung mitbeteiligt bzw. für diese verantwortlich.
Zwar fanden mehrere Anhörungen vor der Bundesstaatsanwaltschaft für Arbeit in Brasilien statt. Doch konnte bis heute keine Einigung zwischen der brasilianischen Staatsanwaltschaft und Vertretern von VW erzielt werden.
Ende März 2023 wurden die Gespräche zwischen VW und der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft über eine Einigung wegen mutmaßlicher Sklavenarbeit schließlich von VW einseitig beendet.
In Absprache mit der Brasilieninitiative Freiburg habe ich nun folgende Fragen an Sie:
- Wie können Sie das erklären, also den Abbruch und den bis heute andauernden Stillstand der Gespräche?
- Warum stocken die Gespräche aus Ihrer Sicht?
- Wo liegen die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten?
- Warum versucht VW do Brasil weiterhin, sich seiner historischen Verantwortung für die sklavenarbeitsähnlichen Zwangsarbeitsverhältnisse zu entziehen?
- Warum verharren Sie weiter auf dem Argument, dass Sie keine Verantwortung für die damaligen Geschehnisse auf dem Grundstück tragen?
- Wie stehen Sie zu einem Fonds, in den Sie einzahlen, damit Recherchearbeiten durchgeführt werden könnten, um alle Betroffenen aus dieser Zeit zu finden und somit angemessen entschädigen zu können?
- Wie sieht Ihrer Meinung nach eine gute Aufarbeitung der von VW do Brasil begangenen Verbrechen aus?
- Können die Betroffenen noch auf die von der Brasilieninitiative Freiburg geforderten Entschädigungszahlungen Ihrerseits hoffen?
Am kommenden Mittwoch werden sich u.a. die Staatsanwaltschaft und Gewerkschaftsvertreter in Brasilien treffen und den weiteren Verlauf diskutieren.
Von Seiten der brasilianischen Staatsanwaltschaft wurde bereits angekündigt, Klage zu erheben und ein gerichtliches Verfahren gegen VW einzuleiten.
- Wie hoch schätzen Sie finanzielle und Reputationsrisiken ein, wenn ein solches gerichtliches Verfahren eingeleitet wird bzw. Erfolg hat?
Im Sinne der Betroffenen drängt die Zeit, dass Sie Ihre Verantwortung anerkennen.
- Werden Sie weiter abstreiten, mit der Sklavenarbeit auf der Farm zu tun gehabt zu haben, da lediglich den dort eigestellten Drittfirmen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden könne?
- Ist Ihnen eine jahrelange kostspielige juristische Auseinandersetzung lieber als Ihre Verantwortung anzuerkennen und die angemessenen Entschädigungszahlungen zu leisten?
Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass bis zum Ende der Auseinandersetzung keiner der Betroffenen mehr am Leben ist. Dies ist eine perfide Strategie, finden Sie nicht?
Um den Betroffenen und ihren Angehörigen – den wenigen Überlebenden – eine halbwegs angemessene, wenn auch bescheidene Entschädigung für das Leiden und die Ungerechtigkeit zukommen zu lassen, schlug die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft vor, Volkswagen solle umgerechnet 29 Millionen Euro an individuellen und kollektiven Entschädigungen zahlen.
Vor Kurzem haben Sie den millionenschweren Sponsoringvertrag mit dem DFB bis zum Jahr 2028 verlängern können (dabei handelt es sich um Mehrausgaben für Ihren Konzern von jährlich etwa 20 bis 22 Millionen Euro). Hingegen müssen die noch lebenden Opfer der VW-Sklavenarbeit der Vale do Rio Cristalino-Farm weiter auf Ihre Entschädigung warten.
- Finden Sie das nicht ein wenig zynisch?
Ein Schreiben an VW-Rechtsvorstand Herrn Döss von der Brasilieninitiative, nachdem er am 5.12.2023 im Spiegel folgendermaßen zitiert wurde: „Auch zukünftig werden wir jegliche Hinweise auf Menschenrechtsverstösse sehr ernst nehmen“, blieb unbeantwortet.
Auch auf mehrfache Kontaktversuche mit der VW-Menschenrechtsbeauftragten Frau Dr. Waltenberg wurde nicht reagiert, nachdem bereits mehrere Anfragen an Sie, sehr geehrter Vorstand, auf die Verhandlungsführung in São Paulo einzuwirken, nicht beantwortet wurden. Auch die Bitte nach einer Stellungnahme von Ihnen blieb unbeachtet.
- Wie können Sie das erklären?
- Haben Sie noch vor, auf die Anfragen zu reagieren?
- Wann sind Sie bereit, Ihre juristische Verantwortung anzuerkennen?
- Wann werden Sie sich, sehr geehrter Vorstand, für die Entschädigung der noch lebenden Landarbeiter einsetzen?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.