Menschenrechtliche Sorgfalt: ungenügend; Klimaschutz: mangelhaft – Unsere Gegenanträge

Gegenantrag zu TOP 3: Beschlussfassung über die Entlastung der im Geschäftsjahr 2022 amtierenden Mitglieder des Vorstands für das Geschäftsjahr 2022

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, den Mitgliedern des Vorstands der Volkswagen AG die Entlastung für das Geschäftsjahr 2022 zu verweigern.

Begründung:

Der Vorstand kommt weiterhin nicht hinreichend seiner Verantwortung nach, seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen.

China: Völlig unzureichende Konsequenzen aus Zwangsarbeitsrisiken

Im Dezember 2022 veröffentlichte die Sheffield Hallam University einen umfangreichen Bericht, der die weite Verbreitung von uigurischer Zwangsarbeit in den Lieferketten des Automobilindustrie in China nachweist – auch bei etlichen Zulieferern von Volkswagen[1]. VW betreibt in einem Joint Venture mit dem Staatsunternehmen Shanghai Motor Corporation (SAIC) 33 Fabriken in China, eine davon befindet sich in Ostturkistan.

In der gesamten Region Ostturkistan werden Millionen von Uigur:innen unter grausamsten Bedingungen in Internierungslagern festgehalten und Hunderttausende von ihnen sind der Zwangsarbeit ausgesetzt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) zeigte sich in äußerst besorgt über Folgen der sogenannten „Armutsbekämpfungspolitik“ für die uigurische Bevölkerung. Laut OHCHR könnten die Verbrechen der chinesischen Regierung an den Uigur*innen und anderen Turkvölkern den Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen. Immer häufiger werden neben diesen Lagern Fabriken errichtet, in denen Inhaftierte zu billigen Löhnen Zwangsarbeit verrichten müssen. Die chinesische Regierung hat den Abbau und die Verarbeitung von Rohstoffen sowie die Herstellung von Autoteilen bewusst in diese Region verlagert.

Nach Recherchen der Sheffield Hallam University sind verschiedene VW-Zulieferer in staatliche Arbeitstransfer-Programme involviert, die auf Zwangsarbeit basieren. Betroffen sind so gut wie alle Teile und Rohstoffe, die zum Autobau nötig sind.

Beispiel Stahl: Mindestens seit 2017 gibt es Belege erzwungener Saison-, Gefängnis- und Internierungsarbeit sowie staatlich Arbeitsversetzungen, vor allem beim Staatsbetrieb Baowu, der auch an VW liefert.

Beispiel Aluminium: Die Verstrickung von Joinworld, einem der größten Produzenten hochreinen Aluminiums, in Arbeitsversetzungen und „Berufsausbildung“ uigurischer Arbeitskräfte ist gut dokumentiert. Joinworld beliefert die Jingwei Gruppe, einem Spezialisten für Kupplungs- und Bremsscheiben für VW.

Die Recherchen geben auch Anhaltspunkte, dass die direkten VW-Zulieferer CATL, Joyson and Camel von uigurischer Zwangsarbeit und/oder staatlichen Arbeitstransfers profitieren.

Wir können nicht nachvollziehen, wie VW den Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hinreichend nachkommt. Zu diesen Anforderungen gehört auch, präventive Maßnahmen gegen Menschenrechtsverstöße in der Lieferkette zu ergreifen. Die Ethical Trading Initiative (ETI) schließt eine unabhängige Überprüfung der Arbeitsbedingungen aufgrund der weitreichenden Repression aus. Auch deutsche Auditunternehmen wie der TÜV Süd haben sich aus der Region 2020 zurückgezogen, da Arbeiter:innen nicht frei über die Menschenrechtslage sprechen können.

Da unter diesen Umständen die gesetzlich geforderten Maßnahmen nicht glaubhaft umgesetzt werden können, sollte sich VW aus der Region zurückziehen. Vor allem sollte die Beschaffung von Rohstoffen, Vorprodukten und Fertigprodukten aus der uigurischen Region beendet werden und die Beziehungen zu Unternehmen beenden, die von uigurischer Zwangsarbeit profitieren.

Brasilien: VW weigert sich, ehemalige Sklavenarbeiter:innen zu entschädigen

Zwischen 1974 und 1986 ist es auf VW-Rinderzuchtfarm Rio Cristalino in Brasilien zu schweren Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen gekommen. Die Arbeiter:innen sind geschlagen, gedemütigt und eingesperrt worden. Laut Ermittlungsakten der brasilianischen Staatsanwaltschaft wusste der Vorstand des VW-Konzerns darüber Bescheid und handelte nicht.

Seit 2019 ermittelt infolge der Recherchen und vorliegenden Belege die Bundesstaatsanwaltschaft in diesem Fall und fordert 165 Millionen Reais (derzeit umgerechnet 30 Millionen Euro) als Individual-Entschädigung für die damaligen Arbeiter:innen, deren verbliebenen Angehörigen sowie als Einzahlung in einen Fonds, dessen Aufgabe es sein soll, Recherchearbeiten durchzuführen, um alle Betroffenen aus dieser Zeit zu finden.

Bis heute weigert sich VW, den noch lebenden Landarbeiter:innen eine Entschädigung für die menschenunwürdige Behandlung auf der VW-Rinderzuchtfarm zu zahlen.

Einstieg von Audi in die Formel 1 setzt schlechtes Zeichen

Es ist nicht zeitgemäß, dass die Volkswagentochter Audi in die Formel 1 einsteigt. Vor dem Hintergrund der Elektrifizierungsstrategie des Konzerns ist ein solcher Neueinstieg in eine Rennserie mit Verbrennungsmotoren kontraproduktiv.

Ankündigungen, die Rennserie durch synthetische Kraftstoffe und den Ankauf von Verschmutzungszertifikaten vermeintlich klimafreundlich zu gestalten, sind lediglich Greenwashing. Synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) können schon allein wegen ihres hohen Energiebedarfs bei der Herstellung keine Lösung für die Zukunft sein.

Gegenantrag zu TOP 4: Beschlussfassung die Entlastung der im Geschäftsjahr 2022 amtierenden Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2022

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, den Mitgliedern des Aufsichtsrats der Volkswagen AG die Entlastung für das Geschäftsjahr 2022 zu verweigern.

Begründung:

Der Aufsichtsrat ist seiner Aufgabe als Kontrollorgan des Vorstands nicht hinreichend nachgekommen und hat es versäumt, auf wirksamere Maßnahmen für den Klimaschutz hinzuwirken.

Volkswagen hinkt beim E-Auto-Anteil Mitbewerbern hinterher und überlässt Kleinwagensegment der Konkurrenz

Der prozentuale Anteil von E-Autos an den verkauften Fahrzeugen bei der Marke VW lag im 1. Quartal 2023 in Deutschland gerade einmal bei 10,6 Prozent. Der Durchschnitt lag bei rund 14 Prozent, Mitbewerber wie Fiat oder Renault haben deutlich höhere Anteile. Bei den Marken Audi (12,6 Prozent) und Porsche (13,5 Prozent) liegen sie etwas höher, aber die Zahlen liegen unter den eigenen Ansprüchen. Hier erhärtet sich der Eindruck, dass Volkswagen in Europa nur so viele E-Autos verkauft, wie für die Einhaltung der EU-Flottengrenzwerte notwendig sind. Dazu passen auch die Beschwerden über zu lange Lieferzeiten: Diese liegen für E-Autos aktuell mehr als deutlich über denen für Verbrenner-Pkw.

Ein weiteres Problem ist die Vernachlässigung des Kleinwagensegments. Statt echter „Volkswagen“ baut VW immer mehr besonders große, schwere und hochmotorisierte Fahrzeuge. Was kurzfristig der Gewinnsteigerung dienen mag, könnte langfristig zu erheblichen Einbußen von Marktanteilen führen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Konzern die Entwicklung von kleinen, leichten, ressourcen- und energieeffizienten E-Fahrzeugen vernachlässigt. Längst müssten Fahrzeuge wie der ID.2 oder ID.1 und seine Markenzwillinge bei Skoda und Seat/Cupra, verfügbar sein. Hier besteht die Gefahr, dass chinesische Mitbewerber wie BYD diese Lücke füllen. In China hat BYD bereits VW als Marktführer abgelöst.

Einhalten der CO2-Flottengrenzwerte nur durch fragwürdige Plug-in-Hybride

Die klimaschädlichen Emissionen der gesamten VW-Wertschöpfungskette (Scope 3) sind 2022 gegenüber 2021 um über 8 Prozent gestiegen und liegen nun bei fast 400 Mio. t CO2. Zum Vergleich: Das ist fast die Hälfte der Emissionen, für die ganz Deutschland letztes Jahr verantwortlich war. Der Flottenausstoß von durchschnittlich 119 g CO2/km nach WLTP stagniert und liegt über dem Wert bspw. von Mercedes-Benz (115 g CO2/km). Das knappe Einhalten der EU-Vorgaben ist nur möglich, weil Plug-in-Hybride weiterhin mit extrem niedrigen und unrealistischen Normwerten in die Berechnungen eingehen. Diese wurden und werden oftmals nur durch Kaufbeihilfen und Steuervorteile gekauft. Der Wegfall solcher staatlichen Unterstützungen könnte bereits im Geschäftsjahr 2023 zu Problemen bei der Einhaltung der EU-CO2-Vorgaben führen.

Existierende Realwerte müssen Grundlage des Konzernhandelns werden

Volkswagen muss, wie alle anderen Konzerne auch, seit dem 01.04.2022 die Realverbräuche ihrer in Europa verkauften Pkw an die EU-Kommission übermitteln. Das ist ein guter Schritt, denn über Jahre wurden die Autos auf die offiziellen Prüfverfahren optimiert und die durch massive Lobbyarbeit selbst geschaffene Grauzonen maximal ausgenutzt. Die Folge davon ist eine hohe Differenz zwischen offiziellem Verbrauchs- und damit zusammenhängend CO2-Wert und den realen Werten beim Betrieb auf der Straße. Das gilt insbesondere für Plug-in-Hybride, bei denen die Differenz die nun übermittelten durchschnittlichen Verbräuche auf der Straße zu den Werksangaben besonders hoch liegen dürfte. In der Vergangenheit hat Volkswagen sich vor allem auf die Einhaltung theoretische Normwerte konzentriert. Damit muss Schluss sein. Der Aufsichtsrat muss gewährleisten, dass die existierenden Realwerte Grundlage des Konzernhandelns werden.

Wer ein neues Auto kauft muss auch erfahren, wieviel Energie andere, die das gleiche Modell im letzten Jahr gekauft haben, tatsächlich verbraucht haben – unabhängig davon, ob es sich um einen Verbrenner, einen Plug-in-Hybriden oder ein E-Auto handelt. Diese Angabe wäre aktuell noch freiwillig und müsste neben der offiziellen Kennzeichnung mit dem Normwert erfolgen. Hier ist VW aufgefordert, über die rechtlichen Vorgaben hinauszugehen um die oft beschworene Transparenz zu gewährleisten.

Diesel-Abgasskandal noch lange nicht ausgestanden

Das Verwaltungsgericht Schleswig hat zu Beginn des Jahres 2023 das Software-Update von Volkswagen im Abgasskandal für rechtswidrig erklärt. Diese sollten unzureichend wirksamen Abgasnachbehandlungssystemen Rechtskonformität verschaffen. Betroffen davon sind allein bei der Volkswagen AG rund acht Millionen Fahrzeuge, die der Konzern mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet hatte. Die vom Konzern nach wie vor als notwendig für den Motorenschutz angesehenen, sogenannten Thermofenster, wurde zudem vom Europäischen Gerichtshof für illegal erklärt. Hier hat der Konzern offenkundig rechtswidrig gehandelt. Wir mahnen bereits seit Jahren nicht nur in Gegenanträgen immer wieder an, dass eine vollumfängliche Aufklärung des Skandals nötig ist.

Gegenantrag zu TOP 8: Beschlussfassung über die Änderung von § 19 der Satzung der Volkswagen Aktiengesellschaft (virtuelle Hauptversammlung)

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, den Beschlussvorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand abzulehnen, den Vorstand zu ermächtigen, über die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung entscheiden zu können.

Begründung:

Das Format und die Art und Weise, wie eine Hauptversammlung durchgeführt wird, betreffen elementare Aktionärsrechte. Daher sollte die Hauptversammlung und nicht der Vorstand darüber entscheiden, zu welchen Bedingungen bzw. in welchem Format zukünftige Hauptversammlungen durchgeführt werden sollen. Zudem sollte die Hauptversammlung auch darüber entscheiden dürfen, ob als weitere Option ein hybrides Format umgesetzt werden soll, welches die Vorteile einer Präsenz-Hauptversammlung mit jenen einer rein virtuellen Veranstaltung vereint.

Während andere Aktiengesellschaften eine solche Ermächtigung des Vorstands zumindest auf zwei Jahre begrenzen, um danach eine Evaluation des virtuellen Formats vornehmen zu können, soll bei Volkswagen der Vorstand gleich für volle fünf Jahre ermächtigt werden. Dieser Zeitraum ist viel zu lang; die Hauptversammlung sollte schon deutlich früher wieder selbst entscheiden dürfen, in welchem Format die Hauptversammlung stattfinden soll.


[1] https://www.shu.ac.uk/helena-kennedy-centre-international-justice/research-and-projects/all-projects/driving-force

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