Rede von Christian Russau auf der Volkswagen-Hauptversammlung am 10. Mai 2023
Guten Tag! Mein Name ist Christian Russau und ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionär:innen und Aktionäre.
Den Satz des Tages hat mein Kollege Ingo Speich von DEKA heute gesprochen: „Menschenrechte sind nicht verhandelbar!“. Und dies trifft nicht nur für den aktuellen Fall uigurischer Zwangsarbeit zu, sondern eben auch historisch für den Fall der Volkswagen-Fazenda in Amazonien Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre. Damals wurden tausende von Arbeiter:innen zur Waldrodung auf der VW-Fazenda eingesetzt, unter – wie die Bundesstaatsanwaltschaft von São Paulo feststellt – sklavenarbeitsähnlichen Zwangsverhältnissen. Die Arbeiter:innen wurden in Schuldknechtschaft gehalten, es war ihnen verboten, sich vom Gelände zu entfernen, Flucht war somit ausgeschlossen, Berichten zufolge kam es auch zu Morden, Folterungen, Vergewaltigungen und anderen physischen und psychischen Gewalttaten.
Ende März dieses Jahres kam es im brasilianischen São Paulo zur mittlerweile dritten Anhörung vor der Bundesstaatsanwaltschaft für Arbeit im Fall der Sklavenarbeit auf der ehemaligen VW-Fazenda Vale do Rio Cristalino in Amazonien Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre. Zeitgleich sollte vor Ort von Aktivist:innen eine von fast 3.000 Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland unterzeichnete Petition der Brasilieninitiative Freiburg e.V. übergeben werden, die von Volkswagen Entschädigung für die ehemaligen Sklavenarbeiter:innen fordert.
Laut Medienberichten verließen die anwesenden Vertreter:innen und Rechtsanwält:innen von VW do Brasil die Anhörung und lehnten eine weitere Beteiligung an dem Verfahren ab. Laut der Tageszeitung Folha de São Paulo beharrten die vor Ort anwesenden Vertreter:innen des Unternehmens auf dem Argument, dass Volkswagen keine Verantwortung für die damaligen Geschehnisse auf dem Grundstück trage. Unverblümt bleibt VW damit auf der Argumentationskette, die die Firma bereits Mitte der 1980er gefahren hatte, als die ersten Anschuldigungen über sklavenarbeitsähnliche Zwangsverhältnisse auf der VW-Fazenda Rio Cristalino international bekannt wurden: VW habe mit der Sklavenarbeit vor Ort auf ihrer Fazenda nichts zu tun, schliesslich seien die dort Tätigen ja über Drittfirmen dort beschäftigt. Wieder einmal heisst es also seitens Volkswagens: Die Verantwortung tragen nicht wir, sondern Subfirmen.
Dies ist so nicht hinnehmbar. Vor allem, wenn wir uns vergegenwärtigen, welchen außergerichtlichen Vergleich die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft VW do Brasil angeboten hat: Um den Betroffenen, ihren Angehörigen, den wenigen Überlebenden eine halbwegs angemessene, wenn auch bescheidene Entschädigung für das Leiden und die Ungerechtigkeit zukommen zu lassen, schlug die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft vor, Volkswagen solle umgerechnet 29 Millionen Euro an individuellen und kollektiven Entschädigungen zahlen. Volkswagen lehnt das ab.
Das ist jämmerlich. Statt die Opfer der VW-Sklavenarbeit der Vale do Rio Cristalino-Farm endlich nach all den Jahren zu entschädigen, will Volkswagen auf der heute hier in Berlin stattfindenden Jahreshauptversammlung des Konzerns die Bezüge, Boni und Gehaltszahlungen für den Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume von bis zu 12 auf bis zu 15 Millionen Euro und die der weiteren acht Mitglieder des Vorstands von 5,5 auf bis zu 8,5 Millionen Euro jährlich erhöhen. In Summe wären das also potentielle Erhöhungen von 27 Millionen Euro (man beachte: es geht um Erhöhungen sowieso schon exorbitanter Bonibezüge): die wollen sich Blume & Co. in die eigene Tasche stecken, aber für die Sklavenarbeiter in Brasilien gibt es von VW nur ein müdes Lächeln. Dieses Geld aber steht den ehemaligen Sklavenarbeitern zu! Statt eigene Boni zu erhöhen, sollte der Volkswagen-Vorstand sich endlich seiner historischen Verantwortung stellen.