„Warum hat Volkswagen do Brasil die Gespräche mit der Bundesstaatsanwaltschaft abgebrochen?“: Rede von Christian Russau

Rede von Christian Russau auf der Hauptversammlung der Volkswagen AG am 16. Mai 2025

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau und ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionär:innen.

Die brasilianische Staatsanwaltschaft für Arbeit und Soziales erhob am 5. Dezember vergangenen Jahres Anklage gegen Volkswagen do Brasil wegen der sklavenähnlichen Zustände zwischen 1974 und 1985 auf der VW-Rinderzuchtfarm Vale do Rio Cristalino. Die Farm wurde 1973 auf einer Fläche von 139.000 Hektar für die Viehzucht und Holzgewinnung gegründet. Damals wurden laut der Anklageschrift Hunderte von Arbeiter:innen auf der Farm versklavt und die Staatsanwaltschaft fordert neben einem Schuldeingeständnis auch eine Entschädigung von umgerechnet ca. 26 Millionen Euro. „Auf der Grundlage der gesammelten Beweise ist die Arbeitsstaatsanwaltschaft eindeutig zu dem Schluss gekommen, dass Hunderte von Arbeitern auf der Volkswagen-Plantage versklavt und ihrer Würde beraubt wurden, indem sie verschiedenster physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt waren“, erläuterte Rafael Garcia, einer der Staatsanwälte am 5.12.2024 seine Entscheidung zur Anklageerhebung.

Vorherige Versuche der  Staatsanwaltschaft, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen, scheiterten. Es gab mehrere Treffen der Staatsanwaltschaft mit Vertreter:innen von Volkswagen, aber Ende März 2023 erklärte Volkswagen unilateral, dass sie an diesem Vorgang nicht mehr teilnehmen werden.

Ich frage Sie: Warum hat Volkswagen do Brasil die Gespräche mit der Bundesstaatsanwaltschaft abgebrochen?

„Es ist erstaunlich, dass ein Unternehmen dieser Größe nach vier Jahrzehnten noch immer nicht bereit ist, seine Verbrechen in Pará wiedergutzumachen, darunter Umweltzerstörung und Schuldknechtschaft“, so urteilte der Priester Ricardo Rezende Figueira den Ausstieg von Volkswagen do Brasilien aus den Gesprächen mit der Bundesstaatsanwaltschaft. Es war Ricardo Rezende Figueira zu verdanken, dass die Welt von dem Verbrechen der Sklavenarveit auf der VW-Farm i Amazonien überhaupt erfuhr. Denn er dokumentierte damals als Priester die Menschenrechtsverletzungen und war während der Diktatur eine der maßgeblichen Personen bei der Verteidigung der Menschenrechte im Süden von Pará. „Ich hoffe, dass Volkswagen für das Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Die Justiz muss so schnell wie möglich handeln, bevor weitere Opfer sterben“, so Ricardo Rezende. In gut zwei Wochen, am 30. Mai dieses Jahres, um 8:30 Ortszeit findet in der amazonischen Klienstadt Redenção die Prozesseröffnung mit der ersten Anhörung an. Zugegen sein werden auch ehemalige Sklavenarbeiter, die auf der VW-Farm Vale do Rio Cristalino für VWs Gewinnmargen schuften mussten.

Dabei war für Volkswagen das ganze nur ein Steuersparmodell: 1974 lag der Anteil von VW do Brasil laut Geschäftsbericht am brasilianischen Automobilmarkt bei 50%, 1975 bei 54%. Mit 2.630 Millionen Cruzeiros war VW do Brasil 1975 der größte Steuerzahler in Brasilien. Und diese Steuer wollte VW sich durch die Investitionen in die VW-Fazenda Vale do Rio Cristalino gegenrechnen lassen. Im Deutschen Bundestag gab es dazu damals eine Anhörung, auf der ein Konzernvertreter eingestand: »Wir tun das natürlich nicht nur aus einer rein ethischen Verantwortung, sondern wir tun es in erster Linie deshalb, weil wir dadurch eine Reihe von Vorteilen bei der Gewinnbesteuerung haben.«

2020, 2023 und 2024 haben wir vom Dachverband der Kritischen Aktionär:innen den Vorstand und Aufsichtsrat von Volkswagen hier auf den Jahreshauptversammlungen aufgefordert, sich endlich Ihrer historischen Verantwortung auch im Fall der ehemaligen Sklavenarbeiter:innen auf der VW-Farm Vale do Rio Cristalino zu stellen. Dem sind Sie bisher ausgewichen. Nun werden Sie in Kürze vor Gericht stehen in Brasilien. Und das ist richtig so!

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