„De-facto Arbeitgeber“ bei sklavenarbeitsähnlichen Arbeitsbedingungen in Brasilien: Rede von Tilman Massa

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von der BASF deutliche effektivere Maßnahmen für den Schutz der Menschenrechte, der Umwelt und des Klimas ein.

Wir können auch dieses Jahr Sie als Vorstand nicht entlasten, da Sie aus unserer Sicht Ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht hinreichend nachgekommen sind. Wir haben dies in unseren Gegenanträgen ausführlich begründet.

Wir fordern Sie auf, aus den systematischen Risiken von Zwangsarbeit in China Konsequenzen zu ziehen. Ziehen Sie sich aus Ostturkistan/Xinjiang zurück, die Unterdrückung der Uigur:innen ist zu umfassend, und eine unabhängige Überprüfung aufgrund der staatlichen Repression nicht möglich. Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren hat Ihnen diese Probleme bereits eindrücklich geschildert.

Ich möchte hier auf ein weiteres Beispiel aus Brasilien eingehen und habe dazu Fragen an Sie.

Aus den Medien mussten wir erfahren: Sie, die BASF, wurden vom brasilianischen Arbeitsministerium als „de-facto Arbeitgeber“ bei sklavenarbeitsähnlichen Arbeitsbedingungen bezeichnet.

Direkte Kooperationspartner der BASF Brasilien sind nachweislich für menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf zwei Reisfarmen in Brasilien verantwortlich, die den gesetzlich definierten sklavenarbeitsähnlichen Zwangsverhältnissen entsprechen. Dort wurden diesen März 85 Menschen, darunter 11 Minderjährige zwischen 14 und 17 Jahren, aus unfassbar unmenschlichen Arbeitsbedingungen befreit. Die Menschen berichteten über Arbeit ohne Anmeldung und Versicherungsschutz, pausenlose Arbeit, Unterbringung ohne sanitäre Einrichtungen sowie Essens- und Flüssigkeitsmangel auf dem Feld. Wer deshalb in Ohnmacht fiel, erhielt für diese Zeit keinen Lohn. Pestizide wurden ohne angemessene Schutzkleidung ausgesprüht, auch von Minderjährigen.

In diesem Zusammenhang hat das brasilianische Arbeitsministerium BASF als „de-facto Arbeitgeber“ bezeichnet, da die Kooperation mit den betroffenen Farmen über einen bloßen Saatgut-Abnahmevertrag hinausgeht. Das mit der BASF verbundene Fachpersonal habe auch an der Einstellung von Arbeitskräften mitgewirkt, in dem es die Anzahl der einzustellenden Arbeitskräfte angegeben und das Arbeitsvolumen und die Form der Bereitstellung auf täglicher Basis kontrolliert habe.

Uns wurde nun letzte Woche aus Ihrem Intranet ein Dokument – ein schriftliches Interview mit Ihrem Compliance-Chef – zugespielt, aus dem Ihre Reaktion auf den Fall deutlich werden. Demnach haben Sie mit einer der Reisfarmen den Vertrag gekündigt, die diese keine direkte Verantwortung anerkennt. Im zweiten Fall bleiben Sie im Vertrag, da die Farm Verantwortung anerkennen würde und Besserung versprochen habe.

Meine Fragen dazu:

  1. Wie genau sah Ihre Kooperation mit den genannten Reisfarmen in Brasilien bis vor Kurzen aus? Können Sie die behördliche Einstufung als „de-facto Arbeitgeber“ nachvollziehen?
  2. Die Reisfarmen vermehren von BASF gezüchtetes Reissaatgut und liefern es wieder an BASF. Bewerten Sie den Fall als im eigenen Geschäftsbereich vorgefallen oder bei einem direkten Zulieferer?
  3. Welche juristischen, finanziellen, ökonomischen oder anderweitig negativer Folgen könnten die Ermittlungen für die BASF haben?
  4. Wenn wir Ihren Aussagen zur Achtung der Menschenrechte oder auch dem Arbeitsschutz beim Einsatz Ihrer Agrargifte ernst nehmen, dann hätten diese Vorfälle gar nicht stattfinden können. Erläutern Sie bitte: Wie wollen Sie potentiell ähnliche Fälle in Zukunft anhand Ihrer Risikoanalysen eigenständig erkennen und beenden können?
  5. Wieso haben Sie Ihre Reaktionen und konkreten Maßnahmen noch nicht öffentlich gemacht – arbeiten Sie noch an weiteren Maßnahmen? Angesichts der Schwere der Menschenrechtsverletzungen sollte Sie zumindest transparent machen, dass Sie reagieren und auch erste Schritte unternehmen, völlig unabhängig von laufenden juristischen Verfahren. Oder halten Sie sich noch öffentlich zurück, weil Sie juristische Nachteile fürchten?
  6. Der Fall zeigt, wie wichtig ein effektiver Beschwerdemechanismus ist, der im Sinne und vor allem Schutz der Betroffenen funktioniert. Hier mussten aber erst brasilianische Ermittlungsbehörden einschreiten, um die sklavenähnlichen Arbeitsverhältnisse zu beenden. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, damit Ihre Beschwerdemechanismen auch in solchen Fällen von Betroffenen sicher genutzt werden kann?
  7. Laut § 6 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz müssen Sie nun folgende Präventionsmaßnahmen ergreifen:
    – die Berücksichtigung der menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers,
    – die vertragliche Zusicherung eines unmittelbaren Zulieferers, dass dieser die von der Geschäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert
    – die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers
    – die Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie deren risikobasierte Durchführung, um die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer zu überprüfen.
    Wie ist dazu der aktuelle Stand bei der Reisfarm, mit der Sie Ihre Geschäftsbeziehung aufrecht erhalten werden? Was genau fordern Sie wie bis wann konkret ein und wann und wie werden sie dies überprüfen?
  8. Welche Lehren ziehen Sie aus dem Fall für Ihre gesamte menschenrechtliche Risikoanalyse allgemein und welche spezifisch für den Agrarsektor in Brasilien?
  9. Das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) nimmt weiter konkrete Formen an. Diese Woche hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments seine Positionierung zum EU-Lieferkettengesetz beschlossen. Wie bewerten Sie diese Positionierung und wie genau werden Sie weiterhin Einfluss auf den politischen Prozess nehmen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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