„Lautes Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien“: Rede von Tilman Massa

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von EnBW deutliche effektivere Maßnahmen gegen die Klimakrise sowie für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten ein.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir werden Sie, den Vorstand, auch dieses Jahr nicht entlasten. Der Vorstand der EnBW kommt weiterhin nicht hinreichend seiner Verantwortung nach, wirksamere Maßnahmen für den Klimaschutz umzusetzen und seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen. Wir haben dies in unserem Gegenantrag ausführlich begründet, den ich hiermit auch formal stelle.

Herr Stamatelopoulos, ich habe etliche Fragen zu Ihren Kohle- und Gaslieferketten. Ich nehme Sie beim Wort, denn Sie haben gerade gesagt: „Als einziges integriertes Energieunternehmen Deutschlands sind wir auf allen Stufen der Wertschöpfungskette vertreten und verstehen jeden Schritt – von der Erzeugung über die Netze bis zu den Kunden.“

Weiterhin Blutkohle aus Kolumbien

Auch 2023 hat EnBW über eine Million Tonnen Steinkohle aus Kolumbien bezogen, mehr als aus anderen Ländern. Ein Teil der Kohleimporte dürfte auch aus Cerrejón stammen – dem größten Tagebau Lateinamerikas, betrieben vom Schweizer Bergbauriesen Glencore. Der Bericht „Does Cerrejón always win?“ der Menschenrechtsorganisationen CINEP und Censat Agua Viva, gemeinsam mit Fair Finance International und Oxfam letztes Jahr veröffentlicht, belegt einmal mehr: Glencores Steinkohlemine in Nordkolumbien fügt Mensch und Umwelt massiven Schaden zu – bis heute.[1] Ebenso besteht das Risiko, dass sich Glencore aus Kolumbien zurückzieht, ohne seinen historischen Verpflichtungen gegenüber den vom Kohleabbau betroffenen Gemeinden nachzukommen und umfassende Wiedergutmachungen zu leisten.

Laut dem Portal Intelligence Online belegen Dokumente, dass Glencore Dienstleister beauftragt hat, bei der Durchführung einer Geheimdienstoperation zu helfen, die sich gegen Menschenrechtsgruppen gerichtet und Diplomaten ausspioniert hat.[2] Da reicht es nicht aus, dass EnBW laut Geschäftsbericht lediglich als Mitglied der Arbeitsgruppe Kolumbien bei RECOSI (vormals Bettercoal) mit Produzenten und anderen europäischen Kohleunternehmen austauscht, um „relevante Themen auf direktem Weg adressieren zu können und zu aktuellen Entwicklungen in Bezug auf kolumbianische Kohleproduzenten über öffentliche Quellen hinaus informiert zu bleiben.“[3]

Die Menschenrechtsverletzungen im kolumbianischen Steinkohlebergbau sind der EnBW bestens bekannt. Bis heute können wir nicht erkennen, das EnBW effektive Maßnahmen ergriffen hätte, um diese Menschenrechtsverletzungen adäquat zu adressieren. So ist nicht nachvollziehbar, wie EnBW den Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes gerecht wird. EnBW kann aus unserer Sicht nicht hinreichend nachweisen, wie menschenrechtliche Risiken in den eigenen Lieferketten, vor allem bei der Steinkohle aus Kolumbien, effektiv und präventiv minimiert werden.

Dazu folgende Fragen:

  • Welche konkreten umweltbezogenen und menschenrechtlichen Missstände und Risiken haben Sie in Ihren Steinkohle- und Gaslieferketten identifiziert?
  • Was unternehmen Sie konkret, um wie vom Lieferkettengesetz gefordert auch präventive Maßnahmen zu ergreifen?
  • Von welchen Lieferanten bezog die EnBW 2023 und bisher in 2024 Kohle aus Kolumbien? 
  • Hat die EnBW auch Kohle aus Gruben und Minen importiert, die nicht zu Drummond oder Cerrejón gehören? Wenn ja, wie haben sie die Produzenten überprüft?
  • Bezog die EnBW auch Kohle über die Häfen Puerto Nuevo, Carbosan oder Puerto Brisa?
  • Welche direkten Kohle-Abnahmeverträge bestehen mit welchen Unternehmen in welchem Umfang bis zu welchem Jahr?
  • Uniper, ebenfalls ein aktives Mitglied von Bettercoal/RECOSI, arbeitet an einem „Just Transition Policy Statement“ und einem „Just Transition Framework“. Haben Sie hier auch ähnliche Pläne? In Ihrem neuen „Climate Transition Plan“ konnte ich dazu keine Angaben finden, dabei gibt es entsprechende Hinweise und Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation und der COP26-Vereinbarung für eine „just transition“.
  • Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um einen sozial gerechten Kohleausstieg in Ihren Bezugsländern zu fördern?

Fragen zu Drummond:

  • Besteht mit Drummond ein direkter Abnahmevertrag und wenn ja, in welchem Umfang? Wenn nicht, ist Kohle von Drummond in Ihrer Lieferkette?
  • Nach wie vor steht der CEO von Drummond wegen des Vorwurfs schwerster Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien vor Gericht. Verschiedene europäische Energieversorger machen deshalb seit Jahren einen großen Bogen um Drummond. Wieso kauft die EnBW weiterhin Kohle eines Unternehmens, gegen das solche Vorwürfe im Raum stehen?
  • Haben Sie Kenntnis über die Anklage der kolumbianischen Generalstaatsanwaltschaft gegen den aktuellen und einen früheren Drummond-Geschäftsführer wegen der mutmaßlichen Finanzierung paramilitärischer Gruppen, welche im Mai 2023 letztinstanzlich bestätigt wurde? (https://x.com/FiscaliaCol/status/1663872235961032705)? Wenn ja, wie bewerten Sie diese? Wenn nein, warum nicht?
  • Gibt es für Sie noch immer keinen Anlass, an Drummond zu zweifeln, obwohl die kolumbianische Staatsanwaltschaft den aktuellen und den vorherigen Chef angeklagt und das zuständige Gericht das Verfahren zugelassen hat? Was folgt bei einer Verurteilung? Würden Sie dann die Lieferbeziehung beenden? Würden Sie sich bei den Betroffenen entschuldigen? Wie würde eine Wiedergutmachung aussehen?

Fragen zu Glencore:

  • Besteht mit Glencore ein direkter Abnahmevertrag und wenn ja, in welchem Umfang? Wenn nicht, ist Kohle von Glencore in Ihrer Lieferkette?
  • Haben Sie Kenntnis zu den Schließungsprozesse der Glencore-Prodeco-Tagebaue La Jagua und Calenturitas in Cesar? Wenn ja, wie bewerten Sie diese? Wenn nein, warum nicht?
  • Hat Glencore-Prodeco hier Ihrer Ansicht nach seine arbeits-, sozial- und umweltrechtlichen Verpflichtungen sowie seine Widergutmachtungspflichten gegenüber Betroffenen erfüllt?
  • Haben Sie Kenntnis über die im Bericht von Cinep/Censat von November 2023 dokumentierten Menschen- und Umweltrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Tagebau Cerrejón? Wenn ja, wie bewerten Sie diese? Wenn nein, warum nicht?
  • Haben Sie Kenntnis über den jeweiligen Umsetzungsstand der Urteile des kolumbianischen Verfassungsgerichts T-528 de 1992, T-265 de 2015, T-704 de 2016, T-302 de 2017, T-329 de 2017, SU-698 de 2017 und T-614 de 2019 zu verschiedenen Auswirkungen des Kohlebergbaus in La Guajira, der auch diverse Anordnungen an Glencore-Cerrejón enthält? Wenn ja, wie bewerten Sie diese? Wenn nein, warum nicht?
  • Entspricht es Ihren Standards, dass sich ein Milliardenkonzern aus der Verantwortung stiehlt, obwohl es sich ganz offensichtlich nicht um ein geordnetes und verantwortliches Minenschließungsverfahren handelt. War es Ihnen nicht immer so wichtig, Einfluss zu nehmen? Und nun verklagt Glencore den kolumbianischen Staat vor internationalen Schiedsgerichten und alles, was wir von der EnBW hören, ist lautes Schweigen?

Fragen zum Spionage-Einschüchterungs-Skandal:

  • Haben Sie Kenntnis über die Medienberichte zur mutmaßlichen Beauftragung privater Sicherheitsdienste durch Glencore, um Gegner*innen der Glencore-Geschäfte in Cesar ausspähen und einschüchtern zu lassen? Wenn ja, wie bewerten Sie diese? Wenn nein, warum nicht?
  • 2019 haben Sie auf die Notwendigkeit von Vertrauensbildung zwischen Interessengruppen verwiesen. laut des Magazins Intelligence Online sind genau dieselben Akteure, die die EnBW damals mit den NGOs (Misereor, PAX, urgewald, PowerShift…) getroffen hatte, beispielsweise der damalige Prodeco-CEO Mark McMannus, für dieses Ausspähen verantwortlich. Wie passt das zusammen? Was sagen Sie dazu? Welche Konsequenzen ziehen Sie darauf?
  • Haben Sie Kenntnis über die Angriffe und Drohungen gegen Mitglieder der Mesa de Concertación para el cierre de las minas La Jagua y Calenturitas de Glencore-Prodeco in Cesar sowie gegen zwei Mitglieder der Gewerkschaft Sintraminenergética und der Organisation Pax Colombia? Wenn ja, wie bewerten Sie diese? Wenn nein, warum nicht? (Quellen: https://www.askonline.ch/allgemein/communique-des-tisches-fuer-eine-gerechte-transition-und-territoriale-verteidigung-wegen-drohungen; https://paxforpeace.nl/news/pax-rejects-death-threats-to-colombian-human-rights-activists/)
  • Haben Sie Kenntnis über die Drohungen gegen Maira Mendez und weitere Gewerkschafter:innen Anfang dieses Jahres? Die Drohungen stehen im Zusammenhang mit Maira Mendez‘ Aktivitäten im Bereich der Wahrheitsfindung und den Vorwürfen gegen Drummond und Prodeco. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn diese Unternehmen, aber auch Sie die Drohungen gegen Menschen wie Maira Mendez im Kontext der Wahrheitsfindung zurückweisen würden. Sind Sie dazu bereit, dies hier, öffentlich und auch im Rahmen Ihrer Kontakte mit Drummond und Glencore zu tun?

Fossiler „Fuel Switch“: Kohleausstieg wird zum fossilen Gaseinstieg

Viel zu lange hat EnBW damit gezögert, die eigenen Pläne für den Kohleausstieg zu beschleunigen und zu konkretisieren. Doch die jetzigen Pläne laufen darauf hinaus, fossile Kohle durch fossiles Gas zu ersetzen und neue fossile Abhängigkeiten über den tatsächlichen Bedarf einer effektiven Energiewende zu schaffen. Dem Klima ist überhaupt nicht geholfen, wenn die Emissionen nun hauptsächlich bei der Gewinnung und dem Transport von fossilem Gas entstehen und weniger bei der Verbrennung im Kraftwerk. Gerade bei der Verbrennung von verflüssigtem Erdgas (LNG), das per Fracking gewonnen wurde, müssen alle klimaschädlichen Emissionen entlang der Lieferkette betrachtet werden, sodass ein Fokus aus LNG alles andere als klimafreundlich ist.

Anfang 2023 hat EnBW am geplanten LNG-Terminal Stade noch mehr Kapazität als bisher gebucht. Darüber hinaus hat EnBW mit Venture Global LNG zwei langfristige LNG-Abnahmeverträge mit einer Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen. Das Gesamtvolumen der LNG-Mengen soll 2 Mio. t pro Jahr betragen und ab 2026/2027 aus den Venture-Global-LNG-Anlagen Plaquemines und Calcasieu Pass 2 in den USA bezogen werden. Diese lange Laufzeit ist ein Skandal: bis 2046/47 geht über den Stichtag für Deutschlands Klimaneutralität hinaus. Das Vorhaben widerspricht damit klar den Pariser Klimaschutzzielen.

  • Wie rechtfertigen Sie diesen langen Abnahmevertrag vor dem Hintergrund der Klimaziele Deutschlands?
  • In welchem Umfang bestehen weitere Gas-Abnahmeverträge bis zu welchem Jahr?

Der „Fuel Switch“ von Steinkohle auf fossiles Gas an den Kraftwerksstandorten Heilbronn, Altbach/Deizisau und Stuttgart-Münster wird von EnBW mit einer „sofortigen CO₂-Reduktion“ von etwa 60 Prozent beworben. Dass sich EnBW hier nur auf die spezifischen Emissionen der Kraftwerke bezieht, statt auf die gesamte Klimabilanz und ohne Angaben, ob und in welchem Verhältnis LNG zum Einsatz kommen soll, bewerten wir als bewusste Irreführung.

Ohnehin muss sich EnBW um die gesamte Klimabilanz und fossile Abhängigkeit der eigenen Wertschöpfungsketten kümmern. 2023 ist der Klimaschaden durch den Gasabsatz der EnbW mit 22,6 Mio. t CO2e (nachgelagerte indirekte CO2-Emissionen, Scope 3) mehr als doppelt so hoch wie direkten Emissionen etwa aus der eigenen Stromerzeugung (Scope 1) gewesen.

Die klimaschädlichen Emissionen einfach in die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten zu verlagern ist kein Klimaschutz, sondern Greenwashing. EnBW gibt selbst offen zu, nur für die Emissionen bei Scope 1 und 2 einen 1,5-Grad-konformen Dekarbonisierungspfad anzustreben, nicht aber für Scope 3.

Fragen zu Wasserstoff:

  • Wann sollen welche Kraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden?
  • Werden Sie sicherstellen, dass es sich um grünen Wasserstoff handelt und nicht um Wasserstoff, der aus fossilem Gas gewonnen wird?
  • Mittels welcher Infrastruktur wird er erzeugt und zu den jeweiligen Kraftwerksstandorten transportiert?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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