Konzerne für Klimaschutz und Menschenrechte? fragten wir provokativ im Programm zu unserer Jahrestagung am 5. September 2020. In den Panels zeigte sich die dreifache Herausforderung für Konzernkritik: den abstrakten Schritt von unklarer Konzernverantwortung zu effektiven Haftungsregeln in einem Lieferkettengesetz politisch voranzutreiben, ohne dabei die konkreten Folgen von Konzernhandeln für Menschen und Umwelt aus dem Blick zu verlieren – alles im Kontext einer Pandemie, die öffentlichen Protest erschwert.
1. Panel: Verleihung des Henry Mathews Preises für Konzernkritik 2020
Dass Daimler heute nur noch über eine vergleichbar kleine Rüstungsproduktion verfügt, ist auch auf die jahrelange Arbeit der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) zurückzuführen, die von Paul Russmann und der Organisation Ohne Rüstung Leben (ORL) maßgeblich getragen wurde.
„Hauptversammlungen waren dabei für Dich immer ein Teil der Kampagnen gegen die Rüstungskonzerne und ein Werkzeug, das Du wirkungsvoll einzusetzen wusstest“, erläuterte Barbara Happe in der Laudatio, und Markus Dufner ergänzte anerkennend: „Bei aller Gegnerschaft zu den Konzernen empfand ich Dein Engagement jedoch nie als verbissen. Für Dich standen Fakten und nicht Polemik im Mittelpunkt.“
Unermüdlich fragte Paul Russmann nach den entblößenden Zahlen zu Umsatz und Anteil der Rüstungsexporte, welche die Vorstände ansonsten gegenüber ihren Aktionär*innen verschweigen würden. Für diese Verdienste haben wir Paul Russmann und Ohne Rüstung Leben den Henry Mathews Preis für Konzernkritik 2020 verliehen.
Im Anschluss berichtete Charlotte Kehne, die nun bei Ohne Rüstung Leben die Arbeit von Paul Russmann fortführt, über die aktuellen Pläne, die Hauptversammlungen von Rheinmetall, Daimler und vor allem Heckler & Koch für die Kampagnen der Friedensbewegung zu nutzen. Erst Ende August hatte die Arbeit von ORL zu Rüstungsexporten die Berichterstattung zur Hauptversammlung von Heckler & Koch geprägt. Die jüngsten Enthüllungen über die NS-Vergangenheit des Heckler & Koch-Mitgründers Edmund Heckler zeigen auf, dass auch weiterhin unabhängige historische Aufarbeitungen nötig sind.
2. Panel: Lösung Lieferkettengesetz? Beispiel Pestizideinsatz in Brasilien
In Brasilien vertreiben die beiden Agrarchemiekonzerne Bayer und BASF Wirkstoffe, deren Einsatz in der EU aufgrund von ökologischen und gesundheitlichen Gefahren explizit verboten ist. Die Folge: Bayer und BASF sind mitverantwortlich für Pestizidvergiftungen bei Landarbeiter*innen und indigenen Gruppen, die nicht ausreichend geschützt werden.
Francileia Paula de Castro von der Permanenten Kampagne gegen Agrargifte und für das Leben aus Brasilien berichtete über die aktuelle Arbeit, die auch den Lobbyeinfluss der großen Agrarkonzerne öffentlich macht, deren Wünsche Präsident Jair Bolsonaro umsetzt: Immer mehr hochgiftige Pestizide werden zugelassen, die in anderen Märkten wie der EU schon längst nicht mehr eingesetzt werden dürfen. „Wir haben alles nachgewiesen: Lebensmittel und sogar das Trinkwasser sind mit den Pestiziden kontaminiert“, beschrieb Francileia Paula de Castro. Diese Ergebnisse und ihre Forderungen an die Agrarkonzerne, die gleichen Gesundheitsstandards wie etwa in der EU auch in Brasilien anzuwenden, hat ihre Kampagne zusammen mit Inkota, Misereor und der Rosa-Luxexmburg-Stiftung in dieser Studie zusammengefasst.
Im Anschluss fasste Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) die Ansätze des von der Bundesregierung geplanten Lieferkettengesetzes zusammen, dessen Eckpunkte zeitnah von der Bundesregierung beschlossen werden sollen. In Zukunft sollen Konzerne transparent nachweisen, dass sie ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten auch wirklich nachkommen. Dazu würde auch in letzter Konsequenz zählen, dass Bayer oder BASF keine Pestizide mehr an Großbetriebe liefern, die nachweislich nicht den geforderten Gesundheitsschutz für Arbeiter*innen sicherstellen oder Trinkwasser kontaminieren. Diese Analyse der Initiative Lieferkettengesetz zeigt anhand von fiktiven, aber sehr praxisnahen Fallbeispielen auf, wann Konzerne wirklich auf Schadensersatz haften würden – nämlich nur dann, wenn sie nicht angemessen auf nachgewiesene Missstände in ihren Lieferketten reagieren. Die Haftungsfrage ist derzeit ein Hauptstreitpunkt zwischen den Bundesministerien, die am Lieferkettengesetz mitwirken.
3. Panel: Perspektiven für einen sozial-ökologischen Strukturwandel im Rheinischen Revier
Das Kohleausstieggesetz ist beschlossen, doch konkrete Zeitpläne und Maßnahmen hin zu einem nachhaltigen und klimafreundlichen Wirtschaften im Rheinland sind so umstritten wie noch nie. Das zeigt auch die aktuelle Debatte um die Höhe der Entschädigungen für RWE, die in öffentlich-rechtlichen Verträgen geregelt werden soll.
Andreas Büttgen von der Initiative Buirer für Buir stellte das Konzept der zivilgesellschaftlichen Koordinierungskreises Strukturwandel vor, das auf mehr Partizipation und Einhaltung von umfassender Nachhaltigkeit bei den geplanten Projekten zur Unterstützung des Strukturwandels im Rheinland setzt. Die Präsentation zum Konzept und die aktuellen Sorgen, dass doch eher die wirtschaftlichen Interessen von RWE den Prozess dominieren, ist hier in der Präsentation veranschaulicht. Das Wirtschafts- und Strukturprogramm für das Rheinische Zukunftsrevier der Zukunftsagentur Rheinisches Revier sind hier nachzulesen.
Im Anschluss berichtete Rechtsanwalt Dirk Teßmer, der die Solidargemeinschaft „Menschenrecht vor Bergrecht“ vertritt, über den juristischen Weg, mit dem sich von Zwangsumsiedlung Betroffene beim Tagebau Garzweiler II für die Achtung ihrer Rechte einsetzen.
Die Tagebaubetroffenen werden eine Verfassungsbeschwerde gegen das verabschiedete Kohleausstiegsgesetz einreichen. Die rechtlichen Hintergründe sind hier in der Präsentation zusammengefasst.