Konzernkritik muss wieder sicht- und hörbar werden

Markus Dufner sprach auf der Hauptversammlung 2022 der Deutschen Telekom ‒ in Präsenz die Ausnahme unter den Dax-Konzernen. Foto: DV

Virtuelle Hauptversammlungen sind nun dauerhaft möglich. Wir haben 2022 die Reform des Aktienrechts kritisch begleitet, damit auch in Zukunft Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsbewegungen ihre Konzernkritik auf den Hauptversammlungen deutscher Konzerne artikulieren können. Dazu haben wir gefordert, dass die seit der Corona-Pandemie stark eingeschränkten Partizipationsrechte von Kleinaktionär*innen vollumfänglich wiederhergestellt und ausgebaut werden müssen, vor allem das Rede-, Frage- und Informationsrecht. Zum Teil wurde dies umgesetzt: Live-Videobeiträge mit Fragen und Nachfragen müssen nun zugelassen werden. 2023 wird sich zeigen, wie die Konzerne Aktionärsrechte auch im virtuellen Raum achten – oder Kritik schneller verstummen lassen. Ein Rück- und Ausblick.

Die Bundesregierung hatte sich bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, virtuelle Hauptversammlungen unter Wahrung aller Aktionärsrechte dauerhaft zu ermöglichen. Da die Übergangsregelung Ende August 2022 nicht mehr gültig sein würde, war abzusehen, dass das zuständige Bundesjustizministerium selbst zügig einen Vorschlag machen würde.

Industrieverbände wollten Aktionärsrechte weiter einschränken

Bereits kurz nach Projektbeginn wurde dann auch im Februar 2022 der erste Gesetzentwurf zur Reform des Aktienrechts öffentlich. Dieser sah jedoch sogar noch weitere Einschränkungen gegenüber den bisherigen Regeln für virtuelle Hauptversammlungen vor. Wir haben den Text analysiert und unsere wichtigsten Kritikpunkte noch im Februar öffentlich gemacht.

Zusammen mit dem CRIC (Corporate Responsibility Interface Center), ein gemeinnütziger Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage, und der Initiative Shareholders for Change (SfC), in der europäische institutionelle Investoren Engagement-Prozesse zu Nachhaltigkeitsaspekten führen, haben wir diese umfangreiche Stellungnahme beim Bundesjustizministerium eingereicht und dies mit einer zusammenfassenden Pressemitteilung begleitet.

Auch andere, größere Verbände, die Investor*innen bzw. Aktionär*innen vertreten, teilten unsere deutliche Kritik am ersten Gesetzentwurf. Die lautstarke Kritik konnte auch das Bundesjustizministerium nicht überhören und überarbeitete den Entwurf grundlegend, bis ein Kabinettsentwurf vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, der zumindest in einigen Punkten unserer Kritik entgegenkam, vor allem die Verpflichtung für die Aktiengesellschaften, Live-Videobeiträge zulassen zu müssen.

Unsere Partnerorganisation, der Bürgerbewegung Finanzwende, gelang es, ihren fachkundigen Fellow und langjährigen CDU-Bundestagsabgeordneten Heribert Hirte als Sachverständigen für die Anhörung des zuständigen Rechtsausschusses des Bundestages am 22. Juni 2022 sprechen zu lassen. Seine Stellungnahme ist auch schriftlich veröffentlicht worden. Wenn auch kein fundamentaler Kritiker der virtuellen Hauptversammlungen, so konnte Heribert Hirte dennoch aufzeigen, wie Aktionärsrechte gegenüber dem ersten Entwurf gestärkt würden.

Trotz deutlich mehr Kapazitäten für ihre Lobbyarbeit konnte sich am Ende die Industrieseite bzw. konnten sich die Lobbyverbände der Aktiengesellschaften nicht durchsetzen: Am 7. Juli 2022, kurz vor Mitternacht und als eine der letzten Handlungen vor der Sommerpause beschloss der Bundestag mit nur kleineren Änderungen die dauerhaften Regeln für virtuelle Hauptversammlungen.  

Besonders ein Punkt ist aus unserer Sicht sehr schwierig: Konzerne können nun willkürlich („nach eigenem Ermessen“ bzw. „angemessen“) die Anzahl der vorab einzureichenden Fragen einschränken. Diese Einschränkung wird für uns bei einigen Hauptversammlungen ein Problem werden, gerade wenn wir bei einem Konzern wie RWE oder auch HeidelbergCement mit einer Vielzahl an Kampagnen zusammenarbeiten, die zu unterschiedlichen Themen arbeiten und entsprechend viele Fragen an die Vorstände haben. Dies haben wir auch weiterhin öffentlich wie beispielsweise in dieser Pressemitteilung zur Verabschiedung des Gesetzes kritisiert.

In jedem Fall werden die Hauptversammlungen 2023 entscheidend; wir müssen uns gut auf die jeweiligen Bedingungen einstellen und uns rechtzeitig vorbereiten, damit Konzernkritik und Protest nicht zu kurz kommt. Denn weiterhin ist nicht absehbar, ob die Hauptversammlungen 2023 mehrheitlich wieder in Präsenz unter den alten Regeln oder aber weiterhin rein virtuell mit den dann neuen Regeln stattfinden werden. So hat Volkswagen die außerordentliche Hauptversammlung zum Porsche-Börsengang am 16.12.2022 wieder in Präsenz in Berlin abgehalten. Die ersten größeren Hauptversammlungen von Siemens oder Thyssenkrupp im Februar 2022 werden jedoch rein virtuell stattfinden. Die meisten Hauptversammlungen finden Ende April und im Mai statt. Hier werden neben der Pandemieentwicklung auch die Erfahrungen der ersten virtuellen Hauptversammlungen unter den neuen Regeln eine Rolle für die Entscheidung zum Format der Hauptversammlung spielen.

Das Schlimmste verhindert

Wir haben zumindest dazu beigetragen, dass Schlimmste aus Sicht der Aktionärsrechte bei zukünftigen virtuellen Hauptversammlungen zu verhindern. Doch viele unserer Forderungen, z.B. die Ausweitung der Themen, über welche die Hauptversammlung abstimmen darf, die Regelung hybrider Veranstaltungen oder die Verpflichtung, auch Englisch als Sprache zuzulassen, sind weiterhin nicht erfüllt. Diese Themen, die nicht unmittelbar mit den Regeln für virtuelle Hauptversammlungen zusammenhängen, sondern alle Hauptversammlungen und Aktionärsrechte allgemein betreffen, konnten wir immerhin in die Fachdiskussion einbringen.

Angesichts der professionellen und zum Teil übermächtig wirkenden Verbände (BDI, VCI etc.), gegen die wir angetreten sind, haben wir uns realistisch weniger Chancen ausgerechnet, mit unseren Kritikpunkten Gehör zu finden. Hier haben uns aber unsere Partnerorganisationen, sei es das CRIC, Shareholders for Change und auch die Bürgerbewegung Finanzwende, auch mit ihrem Renommee unterstützt. Die frühzeitige Veröffentlichung unserer Kritikpunkte hat auch offenbar die Meinungsbildung und Stellungnahmen der anderen Aktionärsvereinigungen beeinflusst, die zum Teil die gleiche Reihenfolge der Kritikpunkte und unsere Argumentationen übernommen haben. Vor allem der DGB scheint sich unsere Kritik als Vorlage für die eigene Stellungnahme genommen zu haben, obwohl wir in keinem direkten Kontakt zum Thema virtuelle Hauptversammlungen standen.

Obwohl wir kaum Erfahrung als politische Lobbyorganisation haben, die sich im politischen Berlin für Gesetzesänderungen einsetzt, konnten wir noch Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nehmen und waren durchaus erfolgreich. Etliche unserer Kritikpunkte wurden im dann folgenden Gesetzgebungsverfahren beachtet.

Auch in den Medien waren wir mit dem Thema Hauptversammlungen immer wieder präsent:

Zufrieden sind wir allerdings nicht, denn die Konzerne haben genug Spielraum bekommen, die virtuellen Hauptversammlungen weiterhin nach ihren Interessen auszurichten und unabhängiger Kritik weniger Raum zu geben. Wir rechnen mit einem Flickenteppich, wie gut Aktionärsrechte in Zukunft auch auf virtuellen Hauptversammlungen wahrgenommen werden können. Dies werden wir genau analysieren und die besonders gravierenden Mängel herausstellen. Letztendlich müssen wir wahrscheinlich auf einer Überarbeitung der neuen Regeln pochen, denn die Hauptversammlung in Präsenz und die virtuelle Hauptversammlung brauchen annähernd gleiche Bedingungen, Konzernkritik äußern zu können.

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